Das Salz der Erde: Historischer Roman (German Edition)
behindert, obwohl ihre Freunde in der Gilde sie nach Kräften unterstützt und unter der Hand Salz und andere Waren für sie beschafft hatten. Erst als es ihnen gelungen war, in Metz Fuß zu fassen, hatte sich ihre Lage ein wenig gebessert. Dort waren sie weitgehend sicher vor de Guillory und konnten in Ruhe Handel treiben. Allerdings wehte in Metz ein rauerer Wind als in Varennes; die erbitterte Rivalität zwischen den Kaufleuten machte ihnen schwer zu schaffen. Mächtige Familien beherrschten die hiesigen Märkte, und sie mussten um jedes Geschäft kämpfen. Unter diesen Umständen kamen sie gerade so über die Runden. Sie verdienten genug Silber, um die Familie und die Bediensteten zu ernähren, aber sparen konnten sie kaum etwas. Und ein größeres Haus, das sie so dringend brauchten, lag nach wie vor außerhalb ihrer Möglichkeiten. Michel betete jeden Abend, dass das nächste Jahr einfacher für sie werden würde.
Sie ließen sich Zeit für den Heimweg und erreichten Varennes am späten Vormittag. Da sie keine Handelsgüter geladen hatten, behelligten die Torwächter sie nicht. Zu Hause wurde Jean stürmisch von Adèle begrüßt. Lachend schloss er seine Frau in die Arme, wirbelte sie herum und küsste sie auf den Mund.
»Es gibt gute Neuigkeiten«, sagte Adèle, und ihre Augen strahlten.
»Was ist denn passiert?«, fragte Jean.
»Rate!«
»Der Blitz hat de Guillory erschlagen?«
»Nein.«
»Der Blitz hat Géroux erschlagen?«
»Ich erwarte ein Kind!«, rief Adèle.
»O Adèle, das ist wunderbar.« Abermals umarmte Jean sie und weinte dabei vor Freude.
»Seit wann weißt du es?«, fragte Michel.
»Heute Nacht habe ich gespürt, dass es sich bewegt. Kommt rein. Ich zeige es euch.«
Adèle hatte bereits vor ihrer Abreise vermutet, dass sie ein Kind unter dem Herzen trug, denn seit einer ganzen Weile schon blieb ihr Mondblut aus. Da dies jedoch auch andere Ursachen haben konnte, ließ sich eine Schwangerschaft erst dann zweifelsfrei feststellen, wenn das Kind sich das erste Mal regte. Michel und Jean folgten ihr in die Stube, wo sie ihren Bauch entblößte.
»Vielleicht kannst du es fühlen.« Sie nahm Jeans Hand und legte sie auf ihren Unterleib.
»Da ist nichts«, meinte er stirnrunzelnd.
»Vielleicht habe ich mehr Glück«, sagte Michel – und siehe da: Kaum hatte er Adèles Bauch berührt, spürte er eine Bewegung. Den Tritt eines winzigen Fußes.
Ein Lächeln stahl sich auf seine Züge. Er wurde Onkel.
Möglicherweise meinte Gott es doch gut mit ihnen.
V OGTEI A LTRIP
M ichel hatte ihr geschrieben, er wolle Anfang November seinen Sohn besuchen, und so ging Isabelle in der Woche nach Allerheiligen jeden Mittag mit Rémy zur Quelle und wartete auf ihn. Sie hatte es sich zur Gewohnheit gemacht, mindestens einmal im Monat nach Speyer zu reiten und in der Herberge am Holzmarkt nach Briefen von ihm zu fragen, damit sie seine Nachrichten rechtzeitig erhielt. Den ganzen Sommer über war er auf Reisen gewesen und hatte keine Zeit für einen Besuch gefunden, doch ehe der Winter kam, wollte er Rémy noch einmal sehen.
Isabelle fürchtete sich vor dem Treffen. Es würde ihre erste Begegnung seit jenem Tag im April sein, als sie erkannt hatten, dass es für sie keine Zukunft gab. Würden sie in der Lage sein, sich unbefangen in die Augen zu schauen und wie Freunde miteinander zu sprechen? Oder würden sie feststellen, dass sie es nicht mehr ertrugen, sich zu sehen?
Wir müssen es schaffen, dachte Isabelle. Das sind wir Rémy schuldig.
Am vierten Tag kam Michel schließlich. Ihr schlug das Herz bis zum Hals, als er aus dem Sattel stieg und sein Pferd festband.
»Schau mal, wer da ist«, sagte sie zu ihrem Sohn.
Rémy strahlte über das ganze Gesicht und rannte ihm entgegen. Lachend nahm Michel den Jungen auf den Arm, kniff ihm in die Wange und ging mit ihm zu der kleinen Hütte.
»Entschuldige, dass es so spät geworden ist«, begrüßte er sie. »Ich wollte schon vorgestern da sein, aber ich wurde in Speyer aufgehalten. Wenn Jean nicht dabei ist, macht jedes Geschäft gleich doppelt so viel Arbeit.«
»Wieso ist er nicht mitgekommen?«
»Ich habe darauf bestanden, dass er zu Hause bleibt. Adèle erwartet ein Kind.«
»Das ist ja wunderbar! Sag ihm bitte meine besten Wünsche.«
Sie setzten sich in die Hütte, denn es sah nach Regen aus. Rémy saß auf seinem Knie und kicherte, als Michel mit dem Bein wippte und ihn dabei kitzelte.
»Ist er wieder krank gewesen?«
»Seit dem Frühjahr nicht
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