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Das Salz der Erde: Historischer Roman (German Edition)

Das Salz der Erde: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das Salz der Erde: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Wolf
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erschütterte ihn der Anblick, der sich ihm bot. Binnen weniger Tage hatte die Rote Ruhr diesen einst so imposanten, ja Ehrfurcht gebietenden Mann gebrochen. Bleich und ausgemergelt lag Géroux auf der Bettstatt, die Laken klebten an seinem Leib, er zitterte, und sein Gesicht sah aus, als arbeite sich allmählich der Schädelknochen durch die Haut.
    »Ich habe ihm bereits die Beichte abgenommen«, flüsterte der Priester. »Heute früh hat er all seinen Sklaven die Freiheit geschenkt. Außerdem hat er verfügt, dass sein ganzer Besitz verkauft und dem Sankt-Marien-Hospital der Deutschen in Akkon gespendet wird. Zum Dank sollen die Brüder des Spitals für seine Seele beten, vierzig Jahre lang.«
    »Reue ist eine machtvolle Kraft«, sagte Michel.
    Beim Klang seiner Stimme öffnete Géroux die Augen. »Herr de Fleury.« Schwach hob er die Hand und winkte Michel her.
    Ein Diener, der am Bett kauerte, stand auf und überließ ihm seinen Hocker. Zögernd setzte Michel sich. Géroux drehte den Kopf zur Seite und starrte ihn an. Der eisblaue Glanz seiner Augen, einst gefürchtet im ganzen Bistum, war einem fiebrigen Flackern gewichen. Aber da war noch mehr, erkannte Michel: Schmerz. Und Angst. Entsetzliche Furcht. Vor dem Tod. Vor dem Fegefeuer.
    »Ich war es, der Foulque einst den Auftrag gab, Euch zu ermorden und das Feuer in Eurem Haus zu legen«, krächzte er.
    »Das weiß ich«, sagte Michel mit brüchiger Stimme.
    »Ich habe auch die Männer angeheuert, die Euch damals auf dem Domplatz überfielen.«
    Michel nickte.
    »Bitte … vergebt mir«, sagte Géroux, und jede einzelne Silbe war ein Kampf gegen eisernen Stolz, gegen verkrusteten Hass. Als Michel nicht antwortete, fuhr er fort: »Ihr seid ein besserer Mann, als ich jemals war. Das erkenne ich jetzt. Bitte erweist mir diese Gunst, und erleichtert meine Seele von dieser Last.«
    Michel schluckte trocken. Er konnte kaum noch atmen, so scheußlich war der Gestank, den dieser zerfallende Körper verströmte. Das Verlangen, aufzustehen und davonzulaufen, wurde übermächtig.
    Er blickte zu Pater Jodocus. Der Geistliche nickte nur.
    Géroux hatte ihn behindert, ihn mit aller Macht bekämpft, ihm das Leben zur Hölle gemacht. Doch konnte er ihm diesen letzten Wunsch verweigern, weil es ihn danach verlangte, sich zu rächen? Nein. So ein Mann wollte er nicht sein. »Ich … vergebe Euch«, flüsterte Michel.
    Géroux’ Finger schlossen sich um seine Hand und drückten mit der krampfhaften Kraft des baldigen Todes zu. »Habt Dank, Herr de Fleury. Habt Dank.«
    Er schloss die Augen und atmete rasselnd.
    Behutsam befreite Michel seine Hand aus dem Griff dieses Mannes und legte Géroux’ Arm auf das Laken. Er stand auf und ging aus dem Gemach, schritt die Treppe hinab und verließ das Haus. Draußen blickte er zum Himmel auf und tat einen tiefen Atemzug. Noch einen. Und noch einen.
    War es richtig, ihm zu verzeihen?
    Er wusste es nicht.
    Später vermochte er nicht zu sagen, wie er heimgekommen war – wie in Trance war er durch die Gassen geschlurft, vorbei an Gebäuden, in denen die Kranken stöhnten. Vor seinem Haus kam ein junger Mann auf ihn zu, ein Knecht Catherines.
    »Frau Partenay möchte Euch sehen«, sagte er. »Sie liegt im Sterben.«
    Anders als Géroux war Catherine nicht mehr imstande, mit ihm zu sprechen. Zitternd lag sie da, während Michel ihre Hand an seine Wange presste. Das zehrende Fieber und die blutigen Durchfälle hatten ihren zerbrechlichen Leib ausgelaugt und ausgetrocknet, sodass kein Wort mehr über ihre Lippen kam. Der Ausdruck ihrer Augen brach Michel schier das Herz. Trotz ihrer Schwäche blickte sie ihn voller Liebe an, voller Sehnsucht.
    Er schaute den Arzt an, der Phiolen mit Kräutertränken in seine Tasche räumte. Der Mann, tief erschöpft von all dem Leid, das er nicht lindern konnte, schüttelte kaum merklich den Kopf.
    Warum war Michel nicht fähig gewesen, Catherines Liebe zu erwidern? Wie viel einfacher, wie viel besser wäre sein Leben gewesen, wenn er sie einst zur Frau genommen hätte?
    »Ich war ein Narr, Euch abzuweisen. Ihr habt mehr verdient als meine Freundschaft.«
    Sie lächelte. Eine Stunde später überkam sie eine Ohnmacht, aus der sie nicht mehr erwachte.
    Michel saß an ihrem Lager, bis sie schließlich starb, irgendwann in tiefster Nacht. Knechte und Mägde versammelten sich um ihr Bett und weinten. Michels Tränen waren schon vor langer Zeit versiegt, und während die Hausbedienten schluchzten und Gott anklagten,

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