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Das Salz der Erde: Historischer Roman (German Edition)

Das Salz der Erde: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das Salz der Erde: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Wolf
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gestehst, mit Thomasîn Sodomie und Unzucht getrieben und Gottes Gesetz verhöhnt zu haben?«
    »Ja.«
    Der Vogt nickte zufrieden. »Und du, Thomasîn? Folgst du Johanns Beispiel und bekennst auch?«
    Schwerfällig erhob sich Thomasîn. »Nein.«
    »Du bestreitest deine ketzerische Sünde?«
    »Ich bestreite, Gottes Gesetz verhöhnt zu haben. Ja, ich habe Männer geliebt, Johann, davor meinen Knecht Winand, davor andere. Ja, ich habe mit ihnen das Lager geteilt. Aber so hat mich Gott nun einmal gemacht. Ich habe nur nach den Bedürfnissen gelebt, die er mir eingegeben hat. Wenn das eine Sünde ist, so kann ich sie nicht erkennen.«
    Einer der Priester sprang auf und brüllte: »Blasphemie! Satan hat dir dieses Verlangen eingeflüstert, nicht Gott. Und du hast ihm nachgegeben und dein Herz dem Dämon geöffnet!«
    »Es gibt keinen Satan und keinen Dämon«, sagte Thomasîn. »Die Hölle ist das, was wir Menschen auf Erden einander antun.«
    Isabelle senkte den Kopf. Sie konnte die Tränen nicht mehr zurückhalten.
    »Ruhe!«, brüllte der Vogt, als das Stimmengewirr der Menge überhandnahm. »Was du da sagst, ist Ketzerei, Freisasse. Noch ein Wort von dir, und ich lasse dir die Zunge herausschneiden. Mit eurem Verbrechen habt ihr die schlimmste aller Sünden auf euch geladen – und nicht nur das: Wer sich der Sodomie schuldig macht, beschwört Gottes Zorn herauf. Wenn Missernten, Krieg und Pestilenz diese Gemeinde und ihre Bewohner heimsuchen, so ist das allein eure Schuld. Für solch ein Verbrechen wider die Grundfesten der christlichen Gemeinschaft kann es nur eine Strafe geben: den Tod. Man soll euch verbrennen, damit das Feuer eure verdorbenen Seelen reinigt und Satans Fluch von diesem Ort nimmt.«
    Die Dorfbewohner jubelten. Isabelle hob den Kopf. Ja, Anselm, Grete und all die anderen braven Bauern – sie jauchzten vor Freude.
    Die Menge bildete eine Gasse, und die Büttel führten Johann und Thomasîn zum vorderen Friedhofstor. Als Thomasîn an Isabelle vorbeischritt, schaute er sie an und sagte: »Isabelle.«
    »Ich liebe dich«, flüsterte sie, und als sie die Worte aussprach, da wusste sie: Es war die Wahrheit.
    Rémy. Sie musste zu ihm, musste sehen, ob es ihm gut ging, wollte ihn halten, ihn an sich drücken. Sie kämpfte sich durch die johlende Menge, die den Bütteln folgte, und stieß das Kirchenportal auf. Rémy kauerte an einem Fenster, wo das Buntglas gebrochen war, und beobachtete das Geschehen auf dem Friedhof.
    »Da hast du deinen Balg«, fauchte die Bäuerin und schob sich nach draußen. »Hat die ganze Zeit geflennt wie ein Mädchen.«
    Isabelle kniete sich neben Rémy auf den Steinboden. Er drückte sich an sie, und sie fuhr ihm durch das Haar.
    »Werden sie Vater wirklich verbrennen?«
    »Ja. Das werden sie.«
    »Warum?«
    Ja, warum? »Weil er jemanden liebte, den er nicht hätte lieben dürfen.«
    »Ich will nach Hause.«
    »Ja. Lass uns gehen.«
    Eine Stunde später – Rémy war erschöpft eingeschlafen – stand sie zwischen den Birken vor dem Gehöft und betrachtete die Ebene. Es war Abend, und die Sonne versank weit im Westen. Sie fror und rieb sich die Arme. Man hatte die Scheiterhaufen jenseits des Dorfes aufgeschichtet. Von hier aus konnte Isabelle sie nicht sehen. Wohl aber sah sie die Feuer. Hell züngelten die Flammen zum Himmel hinauf, loderten höher und höher.
    Thomasîn hatte recht: Es gab keine Hölle. Die Hölle war hier, auf dieser Erde, und sie betete, dass er es besser hatte, da, wohin er jetzt ging.
    Sie stand unter den Birken, bis die Flammen erloschen, irgendwann spät am Abend. Sie blickte zu den Sternen auf, dann zog sie sich den Umhang enger um die Schultern und ging zurück zu ihrem Sohn.
    Isabelle lag die ganze Nacht wach. Während sie in die Dunkelheit starrte, versuchte sie, sich an ihre Jahre mit Thomasîn zu erinnern, an ihre Hochzeit, ihre aufkeimende Freundschaft. Es gelang ihr nicht. Irgendwo wisperten ihre Gedanken, so fern und unverständlich wie ein Flüstern am Grund einer bodenlosen Höhle. Sie streckte den Arm aus und berührte die andere Seite der Schlafstatt – Thomasîns Seite. Beinahe glaubte sie, seinen warmen, rauen, massigen Körper zu spüren.
    Beim ersten Licht des Tages stand sie auf, weckte eine der Mägde und bat sie, Rémy das Frühstück zu bereiten, falls er erwachte, bevor sie zurückkam. Aus der Schlafkammer holte sie die Schatulle, in der Thomasîn stets seinen Notgroschen aufbewahrt hatte. Es war ein hübsches Kästchen aus

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