Das Salz der Erde: Historischer Roman (German Edition)
Ihr Euren Herrn?«
»Er ist nicht mehr mein Herr. Er hat Dinge von mir verlangt, die ein Mann niemals von einem anderen fordern darf. Ich fühle mich nicht länger an meinen Treueschwur gebunden.«
»Wäre Euch das einen Tag früher eingefallen, wäre den Beginen viel Leid erspart geblieben«, sagte Michel.
Berengar hustete. Sein Kopf fiel nach vorne, und es kostete ihn sichtlich Kraft, ihn wieder zu heben. »Habe ich nun Euer Wort?«
»Ich kann es Euch nicht geben. Ihr seid in der Gewalt dieser Männer, und ich weiß nicht, ob sie auf mich hören werden.«
»De Guillory hat Euren Bruder getötet.«
Es dauerte einige Augenblicke, bis Michel in vollem Umfang begriff, was der Sarjant soeben gesagt hatte. Ihm wurde schwindlig, und er musste sich an einem Balken festhalten. Er lügt!, durchfuhr es ihn, doch über seine Lippen kam nur: »Warum?«
»Zuerst Euer Versprechen.«
»Du Schweinehund! Sag mir, was du weißt!« Michel bemerkte, dass er die Fäuste geballt hatte und im Begriff war, Berengar zu schlagen.
Nein. So tief sinke ich nicht.
Er trat einen Schritt zurück und tat einige Atemzüge, bis er sich wieder in der Gewalt hatte. »Ich glaube Euch nicht«, sagte er. »Mein Bruder wurde von Straßenräubern ermordet.«
»Es ist die Wahrheit. Ich schwöre es.«
Was war ein Eid von diesem Mann wert? Berengar würde ihm das Blaue vom Himmel versprechen, damit man ihm nicht die Schlinge um den Hals legte.
Der Sarjant sagte: »Ihr wart damals in Metz und habt Euch umgehört. Ich nehme an, Ihr erinnert Euch an den Namen Conon?«
Ein Schauder lief Michel über den Rücken, als hätten ihn die Geister der Vergangenheit berührt. »Der Wollweber?«
»Er ist der Schlüssel.«
»Zu Jeans Tod?«
»Zu de Guillorys Geheimnis. Zu allem.«
Michel starrte Berengar an, suchte das geschundene Gesicht des Kriegers nach Hinweisen ab, dass der Mann log. Er fand nichts. Mit brüchiger Stimme versprach er: »Ich werde mein Möglichstes tun, Euer Leben zu retten.«
»Schwört es.«
»Bei meiner Seele«, sagte Michel.
Das genügte dem Sarjanten. »De Guillory hütet dieses Geheimnis seit über zwanzig Jahren. Euer Bruder musste sterben, weil er im Begriff war, es zu enthüllen.«
Eine Frage quälte Michel mehr als alle anderen. »Wer hat ihn getötet? Ihr?«
»De Guillory war es selbst.«
»Erzählt mir alles. Von Anfang an.«
»Bindet mich los«, verlangte Berengar.
»Nicht«, sagte Jean Caboche, doch Michel hatte bereits sein Messer gezogen und die Stricke durchtrennt.
»Er kann nirgendwohin«, sagte Michel, als der Schmiedemeister zu ihm kam.
Caboche war nicht überzeugt. Er blieb neben dem Stützbalken stehen, bereit einzugreifen, falls der Gefangene eine falsche Bewegung machte. Berengar hatte sich derweil auf eine Kiste gesetzt und rieb seine wunden Handgelenke.
»Er soll uns allein lassen«, sagte er und streifte Caboche mit einem Blick.
»Bitte«, sagte Michel zu dem Oberhaupt der Bruderschaft.
»Er ist gefährlich«, erwiderte Caboche.
»Er wird mir schon nichts tun.«
Widerwillig ging der Schmiedemeister zu seinen Brüdern, ließ Michel und Berengar jedoch nicht aus den Augen.
»Es war im Jahr dreiundachtzig«, begann der Sarjant. »De Guillory war damals Junker des Grafen von Vaudémont. Als er mit Vaudémont Metz besuchte, lernte er eines Abends Conons Tochter kennen – Velin ist ihr Name. Er hat das Mädchen geliebt, und wer hätte es ihm verdenken können: Sie war schön. Sie heirateten heimlich. De Guillory war schon damals ein Hitzkopf, und er hat keine Gelegenheit ausgelassen, seinen Vater zu ärgern. Er hat den alten Renard gehasst. De Guillory blieb fast ein Jahr in Metz, und ein paar Monate nach der Hochzeit wurde Velin schwanger. Er nahm sie mit zur Burg und stellte sie seinem Vater vor. Der alte Renard tobte. Er wollte seinen Sohn nach der Schwertleite mit einer Edelfrau aus gutem Haus vermählen, um die Macht der Familie zu mehren – und was tut Aristide? Heiratet ohne sein Wissen eine Frau von niedriger Geburt, die Tochter eines Wollwebers, eines armen Schluckers.«
Berengar verzog das Gesicht. Michel vermutete, dass er grinste. »Zwei Tage lang haben sie sich angebrüllt. Einmal prügelten sie sich sogar und zerschlugen im Saal die Einrichtung, als sie aufeinander losgingen wie zwei Berserker. Auf der Burg war eine Stimmung wie in einer eroberten Stadt. Jeder hat zugesehen, dass er den beiden aus dem Weg ging, aus Angst, etwas abzubekommen. Velin schloss sich in ihrer Kammer ein und
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