Das Salz der Erde: Historischer Roman (German Edition)
Möglichkeit, endlich die Freiheit zu erlangen. Wir sollten sie nutzen, solange er noch lebt.«
»Was Ihr da sagt, ist nicht ganz richtig«, bemerkte Duval, der dem Wortwechsel mit gerunzelter Stirn zugehört hatte. »Wenn wir Simon Varennes abkaufen, sind wir noch lange nicht frei. Wir müssten ihm immer noch Heerfolge leisten, Steuern an ihn abführen, uns vor dem Hochgericht seinen Entscheidungen beugen und vieles mehr. Echte Freiheit kann uns nur der König gewähren.«
»Dann gehen wir eben zum König«, entgegnete Michel. »Aber bevor er uns weitere Privilegien gewähren kann, müssen wir die Stadt in unseren Besitz bringen. Daran führt kein Weg vorbei.«
»Das ist wahr«, räumte Duval ein.
Michel blickte in die Runde. »Also – wer stimmt für meinen Vorschlag?«
Beinahe alle Männer hoben die Hand, nach kurzem Zögern auch Duval und Le Roux. Lediglich zwei Führer der Bruderschaften sowie Baffour und d’Alsace enthielten sich ihrer Stimme.
»Dann ist es beschlossen. Meine Herren, vor uns liegt viel Arbeit. Lasst uns sofort anfangen.«
Was in den nächsten Tagen geschah, war beispiellos in der Geschichte Varennes’. Nicht einmal die ältesten Bewohner konnten sich erinnern, je etwas Vergleichbares erlebt zu haben. Auf eindrucksvolle Weise bewiesen die Menschen, dass die Bürgerschaft während des Kampfes gegen de Guillory zusammengewachsen war.
Die Kaufleute waren die Ersten, die Geld für Michels Vorhaben spendeten. Geschlossen gingen sie zur Gildehalle und überreichten ihm alles Silber, das sie entbehren konnten. Michel stellte mehrere Truhen auf, führte von früh bis spät Buch über die eingegangenen Spenden und verließ seinen Posten nur zum Essen und Schlafen. Gleichzeitig versammelten die Bruderschaften ihre Mitglieder und warben für die Idee. Die Aussicht auf Freiheit begeisterte die Handwerker und Stadtbauern derart, dass jeder, vom einfachen Lehrling bis zum angesehenen Meister, bereitwillig einen Teil seines Vermögens gab.
Am Abend des ersten Tages enthielten die Truhen bereits knapp zweitausend Pfund Silber. Am Tag darauf waren es schon dreitausend.
Isabelle gewann die Beginen für das Unternehmen. Magistra Frédégonde und ihre Schwestern spendeten das Silber, das sie von Herzog Simon als Entschädigung für das erlittene Unrecht bekommen hatten, und zogen durch die Gassen, um bei den Tagelöhnern, Arbeitern, Knechten und Mägden Geld zu sammeln. Obwohl die ärmeren Bewohner Varennes’ jeweils nur ein paar Deniers oder Sous entbehren konnten, kam dank der großen Zahl dieser Menschen eine beträchtliche Summe zusammen.
Dreitausendzweihundert Pfund. Michel, seine Schwurbrüder und die Männer der Bruderschaften verdoppelten ihre Anstrengungen.
Le Roux und Archambaud Leblanc ritten zu den Höfen im Umland der Stadt und baten die Bewohner um Mithilfe.
Charles Duval sprach mit Chonrat, dem Vorsteher der Bornknechte. Obwohl die Salinenarbeiter zumeist arm waren, spendeten auch sie im Rahmen ihrer Möglichkeiten.
Unterdessen suchte Aimery Nemours die Mitglieder des Schöffenkollegiums und die anderen Ministerialen auf. Seine Aufgabe war zweifellos die schwerste, denn viele Ministerialen fürchteten, auch den letzten Rest ihres Einflusses zu verlieren, wenn Varennes die Freiheit erlangte, und die meisten wiesen ihn ab. Einige wenige jedoch – unter ihnen Tancrède Martel, der einstige Schultheiß – sahen ein, dass es nicht klug wäre, sich dem Freiheitsstreben der Bürgerschaft entgegenzustellen. Sie leisteten einen bedeutenden Beitrag zu dem Unterfangen, in der Hoffnung, auf diese Weise ihre Privilegien bewahren zu können.
Viertausendfünfhundert Pfund.
Die Kaufleute und die reicheren Handwerker begannen, ihre Besitztümer zu versetzen, Reitpferde, Gewürze, Schmuck, kostbare Gewänder. Michel trennte sich wieder einmal von all seinen Büchern, außer jenem, das Rémy gemacht hatte. Was sie nicht der Kirche und dem Domkapitel verkaufen konnten, brachten sie nach Metz und boten es auf den dortigen Märkten feil.
Nach anderthalb Wochen enthielten die Schatztruhen in der Gildenhalle genau fünftausendachthunderteinundneunzig Pfund, achtzehn Sous und sieben Deniers.
Michel ließ die Schatullen auf seinen Wagen laden und brachte sie zum Palast. Herzog Simon empfing ihn nicht in der Amtsstube, sondern in seinem Schlafgemach. Seine Krankheit hatte sich verschlechtert, und er lag im Bett, das Gesicht fahl und teigig. Ein Medicus saß bei ihm und flößte ihm einen Kräutertrunk
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