Das Salz der Erde: Historischer Roman (German Edition)
Isabelle schloss die Tür von Curians Verschlag und lächelte ihn ein letztes Mal an, bevor sie im Stallgebäude verschwand. »Bis bald. Und passt auf Euch auf.«
Was macht diese Frau mit mir?, fragte sich Michel, als er Gaspards Haus verließ und über den Domplatz schritt. In ihrer Gegenwart konnte er kaum klar denken und sagte ständig närrische Dinge. Dabei war er doch ein Mann der Vernunft, der seine Gefühle stets in der Gewalt hatte. So etwas hatte er noch nie erlebt. Er schüttelte den Kopf.
Wie bekomme ich sie dazu, mit mir auf diesen verdammten Spaziergang zu gehen?
Nun, er hatte die ganze Reise nach Traben Zeit, sich darüber den Kopf zu zerbrechen.
Jean erwartete ihn vor ihrem Haus. Nachdem sie den Ochsenwagen gemeinsam mit leeren Fässern beladen hatten, verließen sie Varennes durch das Salztor im Süden, fuhren am Viehmarkt mit der alten Gerichtslinde und der Richtstätte mit dem weithin sichtbaren Galgen vorbei und weiter an der Mosel entlang. Michel rechnete: Da sie fast acht Tage für die Reise von Metz nach Varennes gebraucht hatten, blieb ihnen nur noch eine knappe Woche, um das Salz zur Starkenburg zu bringen. Flussabwärts kamen sie mit der Zille zügig voran, sodass sie die Strecke unter normalen Umständen in vier oder fünf Tagen schaffen sollten. Aber es durfte nichts schiefgehen.
Kurz darauf tauchte zwischen den Büschen de Guillorys Brücke auf. Zwei Männer mit Spießen lungerten unter einem Apfelbaum herum, unterhielten sich gelangweilt und warfen kleine Steine ins Wasser: die Zöllner des Ritters. Michel machte sich auf Schwierigkeiten gefasst, doch da sie nichts zu verzollen hatten, ließen die Männer sie in Ruhe.
Die Saline befand sich auf der anderen Seite der Mosel, keine halbe Wegstunde vom Flussufer entfernt, eingebettet in die welligen Hügel. Die Wälder in der Umgebung waren gänzlich abgeholzt, denn der Hunger der Saline nach Brennholz kannte keine Grenzen. Sie gehörte dem Bischof, seit vor Jahrhunderten der damalige Herzog die Schürfrechte dem Bistum verliehen hatte. Die Bornknechte und Tagelöhner schufteten dort Tag und Nacht unter erbärmlichen Bedingungen. Die Arbeit ruhte nie. Hier und da standen bewaffnete Büttel, stützten sich auf ihre Lanzen und beobachteten die Männer und Frauen mal gleichgültig, mal argwöhnisch. Michel erblickte auch zahlreiche Kinder, die dieselbe Arbeit wie die Erwachsenen verrichteten.
Jean und er fuhren mit dem Ochsenwagen in die Mitte der Anlage und stiegen ab. Es war heiß und feucht; Rauch von den Siedefeuern und salziger Dampf erfüllte die Luft und brannte ihnen in den Augen. Ein freier Platz mit zwei ausgemauerten Brunnenschächten lag im Zentrum der Saline. Tagelöhner förderten die Quellsole mit Schöpfgalgen an die Erdoberfläche und gossen sie in mehrere Holzrinnen, durch die sie zu einem überdachten Auffangbecken floss. Dort holten die Soleträger das salzhaltige Wasser mit Eimern ab und trugen es zu einer der fünfzehn Sudhütten, die gewaltigen Pilzen aus Holz ähnelten und die Brunnen kreisförmig umgaben. In riesigen Pfannen aus Bleiblechen wurde die Sole viele Stunden, manchmal gar Tage, gesotten. Diese Arbeit durften nur die eigens dafür ausgebildeten Bornknechte ausführen, denn sie erforderte Wissen und Erfahrung. War der Siedevorgang beendet, harkten die Knechte das auskristallisierte Salz zusammen und schaufelten es heraus, damit es in der Sonne trocknen konnte. Hilfsarbeiter, die Stampfer, zerkleinerten die Schollen und Brocken und füllten das Salz in Fässer.
Michel hielt nach Chonrat Ausschau, dem Oberhaupt der Bornknechte, und sah den hageren Mann kauend aus einer Sudhütte kommen.
»Gott zum Gruße, Chonrat«, rief er ihm zu.
Der deutschstämmige Vorarbeiter spuckte ein Stück Knorpel aus und erwiderte den Gruß. »Ich habe gehört, was Eurem Vater zugestoßen ist. Mein Beileid. Er war ein guter und gottesfürchtiger Mann.« Chonrat war von der sehnigen Sorte, groß und schlank, aber äußerst kräftig. Die leicht ungesunde Gesichtsfarbe täuschte über seine zähe Konstitution hinweg. Seine schlichte Kleidung, das kurze, sandfarbene Haar, die Hände und Arme waren immerzu von einer Salzschicht bedeckt. Michels Vater hatte stets gern mit diesem Mann zusammengearbeitet, und Michel wollte das gute Verhältnis fortführen.
»Ich brauche acht Fässer«, sagte er.
Chonrat führte sie zu der Hütte, in der die frisch gefüllten Fässer lagerten. Eines öffnete er, damit Michel sich von der Güte des
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