Das Salz der Mörder
Aufenthaltsort informiert hatte, gingen wir.
Das
Wort „Wohnung“ hielt ich für eine leichte Untertreibung. Maria lebte, nicht
weit vom Weißen Haus entfernt, in einem dieser schönen Häuser auf der Westseite
des Dorfes, also direkt am Meer. Sie öffnete die Haustür und führte uns durch
den Flur in das Wohnzimmer. Allem Anschein nach lebte sie hier allein. Wir
setzten uns in die „Gute Stube“, während sich Maria in der Küche um das Essen
kümmerte. Das Zimmer war geschmackvoll eingerichtet - alles lag oder stand
sauber und ordentlich an seinem Platz. Der Esstisch hatte eine lichtgrüne
Marmorplatte. Die sechs Stühle, mit hellgrünem Damast bespannt, warteten nur
noch auf die Gäste. In einer Glasvitrine glänzte ein wunderschönes Teeservice
mit Blumenmuster in Blauweiß. Ich traute mich nicht den Schrank zu öffnen, um
nachzusehen, ob es sich um Meißener oder Rosenthaler Porzellan handelte. In den
Fenstern standen mehrere Bonsaipflanzen. Die sahen ausgesprochen hübsch aus.
Von
überall strömt Licht in dieses Zimmer. Eine gläserne Schiebetür führte auf
einen überdachten Vorbau, durch den man in den Garten gelangte.
„Wenn
es Ihnen draußen nicht zu kalt ist, können Sie sich doch auf die Terrasse
setzen“, rief uns Maria von der Küche aus zu. Weshalb nicht, sagte ich mir und
nickte aufmunternd zu Gaby. Ich schob die Tür auf. Mir wehte ein milder Seewind
entgegen. Die Sonne schickte uns die ersten warmen Strahlen des Tages auf die
erwachende Erde. Der Himmel war in tiefstes Blau gefärbt. Das schäumende Meer
berührte das felsige Ufer so dicht unter dem Haus, dass man es riechen, ja
beinahe schmecken konnte.
Ich
stellte drei von den vier an der Hauswand angelehnten Korbstühle um den runden
Tisch, und wir setzten uns. Als wir von diesem Platz aus den liebevoll
angelegten Garten betrachteten, bemerkte Gaby beiläufig: „Vati, die Tante hat
gar keinen Fernseher, und ein Radio hat sie auch nicht.“
Ich
nickte wieder und dachte mir nichts dabei, sondern ging meinen eigenen Gedanken
nach: die ganze Nacht durchgefahren, die Umleitung, die platten Reifen, dass
man es hier in diesem Dorf ebenfalls für längere Zeit aushalten könnte, statt
sich in irgendeinem sterilen Hotel mit fremden Leuten . . .
Unterdessen
klapperte das Kaffeeservice auf dem Tablett so duftend an meiner Nase vorbei,
dass ich völlig verstört aus meinen Urlaubsüberlegungen aufschreckte. Maria
stand vor uns und begann den Tisch zu decken.
„Ich
habe zwar nicht gefragt, aber wir im Norden wissen, dass ihr im Süden lieber
Kaffee mögt. Stimmt doch, oder?“ fragte sie lächelnd und stellte, als sie
fertig war, noch eine Vase mit frisch geschnittenen Blumen auf den Tisch. Dann
setzte sie sich. Wir begannen die knackigen Brötchen mit
schleswig-holsteinischer Landbutter zu bestreichen.
„Das
ist unser erstes Frühstück an der Nordseeküste“, flüsterte ich aufmunternd zu
Gaby, und zu Maria gewandt: „Wussten Sie, dass ich mir vor knapp drei Stunden
solch einen hübsch gedeckten Frühstückstisch in meiner Phantasie vorgestellt
habe?“ Ich begann zu stottern. „Ich meine . . . na ja, das war . . . dies alles
. . . wissen Sie . . . also . . . ich hätte das nie erwartet.“ Schließlich
verhedderte ich mich auch noch im Gestammel über das herrliche Wetter und dem
nordischen Meer.
„Ich
bitte Sie. Mir macht es Freude, wenn ich jemandem helfen kann. Ich lebe hier
allein und habe nur selten eine Abwechslung“, entgegnete sie, und ich spürte,
es war ehrlich gemeint.
Gaby,
die eigentlich nicht so schnell Zugang zu Fremden findet, wirkte mit einem Mal
wie ausgewechselt. Sie schien älter zu werden und ich jünger. Mit ihren zwölf
Jahren hatte meine Tochter bereits einen ausgeprägten Sinn für die Farben
zwischen Schwarz und Weiß und den farblosen Abstufungen zwischen Gut und Böse
entwickelt. Ja, zwölf Jahre war sie schon, doch ich sah weiterhin das fünf-
oder sechsjährige Mädchen vor mir. Sichtlich begeistert, stellte sie der Tante
ein paar wichtige Fragen: ob denn die frechen Möwen jeden Tag so dicht über das
Dach fliegen, wenn sie an das Ufer zum Essen kommen; ob denn im Winter manchmal
das Meer zufriert, wenn ja, wie man da Schlittschuhlaufen kann, weil doch dann
das Eis so wellig sei; ob denn Tante Maria wenigstens einen Computer mit
Internetanschluss habe, wenn schon kein Radio und kein Fernseher da sind.
Anschließend erzählte Gaby ausführlich über unsere Familiengeschichte, über
ihre Mutti, ihren
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