Das Salz der Mörder
und: „Was ist denn das für ein Dorf? Was
geht hier eigentlich vor? Eine Polizeiwache wird es mit Sicherheit ebenfalls
nicht geben. Meine sämtlichen Papiere waren in dem Wagen. Ich habe nicht einmal
Geld einstecken. Und vorhin auf der Straße sprach mich ein ganz und gar
verblödeter Junge an. Ein Verrückter.“
Bei
meinen letzten Worten - Maria wischte gerade den Tisch ab - ließ sie den Lappen
fallen, riss blitzschnell ihre kleine weiße Schürze ab und lief, ohne uns
überhaupt noch wahrzunehmen, durch Wohnzimmer und Flur zur Haustür hinaus. Wir
blieben verwundert auf der Terrasse zurück. Nach einiger Zeit fragte mich Gaby:
„Vati, sag mal, bleiben wir denn jetzt den ganzen Tag hier?“ Sie sah mich
traurig dabei an.
„Nein,
nein. Auf gar keinen Fall bleiben wir den ganzen Tag hier. Und wenn wir die
letzten zwanzig Kilometer zu Fuß gehen sollten, wir werden heute Nacht im
‚Hotel zum Seestern‘ in Sankt Peter-Ording schlafen. Das verspreche ich dir. Außerdem
müssen wir unbedingt Mutti und Danny anrufen, damit sie sich keine Sorgen
machen.“
Mein
Vertrauen in dieses Geisterdorf und seine Bewohner - ich kannte zwar nur Maria,
die Hansen und den idiotischen Jungen - war inzwischen bis auf den Nullpunkt
gesunken. All diese Merkwürdigkeiten. Ich wusste nicht, was ich über diese
sonderbaren Verhältnisse denken sollte. Doch noch saßen wir in den bequemen
Korbstühlen auf der überdachten Terrasse, in einem wildfremden Haus, in einem
wildfremden Dorf, von dem uns bis jetzt nicht einmal der Name bekannt war.
Schweigend
sahen wir auf das weite Meer hinaus.
Eine Freundschaft
hat sich erst dann bewährt, wenn man einen Scheffel Salz hat verzehrt.
(Herodot)
5. Ein Telefongespräch Sonntag, 10. August, 22.37 Uhr
„Hotel
zum Seestern, Sankt Peter-Ording. Guten Abend. Bitte, was kann ich für Sie
tun?“
„Guten
Abend. Ja, mein Name ist Wegner. Ich rufe aus München an. Ich möchte bitte mit
meinem Mann, Herrn Manfred Wegner, sprechen? „Bitte gedulden Sie sich einen
Moment.“ (10 Sekunden Pause)
„Hallo?“
„Ja?“
„Wir
haben hier eine Zimmerreservierung auf den Namen Wegner. Allerdings ist bisher
noch niemand bei uns eingetroffen.“
„Das
kann doch gar nicht sein, das verstehe ich nicht. Mein Mann und meine Tochter
müssten bereits heute Vormittag bei Ihnen angekommen sein.“
„Es
tut mir leid, Frau Wegner, Ihnen keine andere Auskunft geben zu können.“
„Aber
das ist unmöglich! Haben Sie auch genau nachgesehen?“
„Es
tut mir wirklich sehr leid, Frau Wegner.“
„Ja,
vielen Dank. Ich werde mich morgen Früh noch einmal bei Ihnen melden. Auf
Wiederhören.“
„Auf
Wiederhören.“
6. Marias Rückkehr
Es
war gegen vierzehn Uhr, als Maria wieder vor uns stand. Ich musste wohl noch
mal eingeschlafen sein. Schlagartig riss ich die Augen auf und war topfit. In
ihrem Gesicht konnte man nichts mehr von der vorangegangenen Aufregung
erkennen. Sie schien dieselbe zu sein wie zuvor: zurückhaltend, stets lächelnd
und liebenswürdig.
Gaby,
die im Garten spielte, kam sofort auf die Terrasse gerannt und starrte zu Maria
hoch.
„He,
meine Kleine, schau mich nicht so böse an. Gott sei Dank, dass ihr noch da
seid. Ich dachte nach meinem überstürzten Aufbruch, wärst du mit deinem Vati
davongelaufen“, sagte sie zu Gaby gewandt und streichelte ihr die Wange dabei.
Wie
am Morgen beim Frühstück, saßen wir auch jetzt am runden Korbtisch, und Maria
begann zu plaudern: „Bitte, ihr beiden, beruhigt euch. Es ist doch gar nichts
passiert. Den Jungen, den Sie gesehen haben, Herr Wegner, der Junge ist krank.
Er lebt seit Jahren in unserer Gemeindestation. Ab und zu gelingt es ihm den
Schwestern zu entwischen, infolgedessen müssen wir ihn wieder einfangen. Das
ist alles. Ich habe gute Nachrichten. Euer Wagen ist ein silberfarbener Opel
Kadett 1,6 i mit dem Münchener Kennzeichen M-PS 3004, habe ich recht?“
Ich
nickte. Sie hatte ja das Auto heute Morgen gesehen und sich die Nummer merken
können, ging es mir durch den Kopf.
„Und
Frau Hansen hat kein Taxi bestellt“, fuhr sie fort, „und auch niemand mit dem
Fahrrad losgeschickt. Nein. Sie ging nach der Unterredung mit Ihnen nach Hause
und erzählte die Geschichte ihrem Neffen. Der Neffe besitzt eine Autowerkstatt
in Itzehoe und ist heute nur zufällig hier bei seiner Tante, wegen einer
familiären Angelegenheit angeblich. Na, immerhin hat er über so ein
Antennen-Telefon seine Kollegen verständigt. Und die sind eben
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