Das Salz der Mörder
paar Mal um meinen Opel -
hinter mir Gaby, meine Tochter. Sie war durch den Krach aufgewacht und folgte
mir schlaftrunken um das Fahrzeug.
Die
erste Frage, die sie mir stellte: „Vati, wo sind wir hier denn eigentlich?“
Dummerweise
hatte ich nicht auf ein Ortsschild geachtet, deshalb zuckte ich mit den Achseln
und sagte: „Ich weiß es nicht. Jedenfalls kann es bis zu unserem Hotel nicht
mehr weit sein. Nur muss ich jetzt eine Werkstatt finden, die mir meine
Schläuche wieder zusammenklebt. Und das wird bestimmt ein kleines Problem
werden, an einem Sonntag, in dieser Gegend und um diese Uhrzeit.“
Während
ich zu Gaby sprach, sah sie an mir vorbei und versuchte mit Händen und Füßen zu
erklären, dass ich mich umdrehen sollte. Ich tat ihr den Gefallen. Vor mir
stand eine junge Frau. Nach dem Lärm erschien sie als erste auf der Straße.
Ihre großen blauen Augen sahen mich fragend an. Sie schien leicht geschminkt zu
sein – äußerst ungewöhnlich zu dieser frühen Stunde, dachte ich. Dafür rahmten
die blonden Haare ihr Gesicht auf das Natürlichste ein. Gekleidet war sie
ausgesprochen schlicht, was überaus bezaubernd wirkte.
„Ach,
Sie haben ein Kind dabei?“ entfuhr es ihr unwillkürlich, als hätte sie nur mich
erwartet.
„Ja,
das ist meine Tochter Gabriele. Gaby, sag ‚Guten Morgen’ zu der Tante.“
Gaby
grüßte kurz, lief dann aber zu meiner Verwunderung davon und begann intensiv
die Straße zu untersuchen.
„Kann
ich Ihnen irgendwie helfen?“ fragte die freundliche Unbekannte. Mit zur Seite
geneigtem Kopf betrachtete sie meine zerplatzten Reifen. Ich überspielte eine
kurze Befangenheit.
„Helfen?
Nun, wissen Sie, meine Tochter und ich, wir wollten an und für sich rechtzeitig
zum Frühstück in unserem Hotel in Sankt Peter-Ording sein. Wir kommen aus
München. Ich bin die ganze Nacht durchgefahren und jetzt gewiss ein bisschen
genervt wegen der demolierten Räder.“
„Ja,
ja, seit uns diese Umleitung den gesamten Durchgangsverkehr beschert hat,
machen sich die Kinder einen Spaß daraus den Fremden die Reifen zu zerstechen.
Es sind Ferien und sie wissen kaum, was sie den lieben langen Tag über
anstellen sollen“, meinte die nette Frau. „Übrigens, ich heiße Maria.“
Sie
reichte mir ihre Hand, und wirkte dadurch noch sympathischer als zu Beginn
unserer Begegnung. Maria, dachte ich, das sind solche Namen, die man oft im
Film und Fernsehen hört. Sie klingen immer so unschuldig, und genauso sah diese
Maria aus, genauso unschuldig wie im Film.
„Vati,
auf der Straße liegt nichts, was deine Räder kaputtmachen konnte“, rief mir
Gaby, die Reifenpanne erforschend, aus einiger Entfernung zu. Gleichzeitig
bellte der verschlafene Hund und krähte der einsame Hahn.
2. Das Weiße Haus
Das
größte Haus im Dorf hieß „Das Weiße Haus“. Ein dreistöckiges Gebäude, das man
sowohl als Rathaus als auch für die monatlichen Gemeindeversammlungen benutzte.
Obwohl dieses Haus von außen einen freundlichen Eindruck erweckte, wirkte es im
Innern eher düster. Durch die große Eingangstür gelangte man in das Foyer.
Hinter doppelt gesicherten Glastüren schloss sich ein Festsaal an. An der
Stirnseite war eine etwa ein Meter hohe Bühne aufgebaut, die die ganze Breite
des Saales einnahm. Annähernd fünfhundert Stühle füllten den riesigen Raum. Der
Fußboden war mit solidem Parkett ausgelegt. An den Wänden hingen
überdimensionale Ölgemälde, die Motive der christlichen Seefahrt zum Inhalt
hatten. Die mannshohen Fenster wurden durch schwere Brokatvorhänge vollständig
verdeckt. Man hatte den Eindruck, dass dieses Düstere und Monströse
beabsichtigt war. Der Saal wurde nur mit künstlichem Licht erhellt - das
natürliche sollte draußen blieben. Im Großen und Ganzen: Für solch ein kleines
Dorf ein ziemlich überdimensioniertes Bauwerk - das darf man hier beiläufig
anmerken.
Vom
Foyer aus führte eine rustikale Wendeltreppe in den ersten Stock hinauf, der
als Büroetage diente. Hier breitete sich ein abstruser Empfangsraum aus,
möbliert mit allem Möglichen. Ein gigantischer Schreibtisch, der nahe der
Treppe stand, schien als Rezeption zu fungieren. Dahinter eine Vielzahl
wuchtiger Sessel mit kleinen Beistelltischen, auf denen man die dreisprachigen
Editionen des Neuen Testaments verteilt hatte, die mit freundlicher Genehmigung
des Internationalen Gideonbundes aus dem Deutschen auch ins Französische und
Englische übersetzt werden durften. Schwere Bücherschränke
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