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Das Salz im See 1: Ein teuflischer Plan (German Edition)

Das Salz im See 1: Ein teuflischer Plan (German Edition)

Titel: Das Salz im See 1: Ein teuflischer Plan (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Götz Justus
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zur Eile getrieben wurden. Sie hatten noch nicht einmal die Zeit, sich von Double H und Boris zu verabschieden. Ein kurzer Wink, dann wendete Boris den Bus und verschwand – im zweiten Gang mit Höchstdrehzahl – hinter der nächsten Biegung.
    Sie passierten zu Fuß ein Tor, das sonst Armeefahrzeugen vorbehalten war. Der Posten öffnete mit versteinerter Miene den Schlagbaum. Cannon hätte zu gerne gewußt, von wem der Mann Instruktion erhalten hatte, einem kasachischen Piloten und drei Zivilisten das Betreten des Flughafengeländes zu gestatten. Direkt hinter dem Tor wartete ein klappriger Bus, der sie zur Parkposition ihrer Maschine, wieder einer Antonow 24, fuhr. Der Kopilot erwartete sie auf der Treppe. Diesmal waren außer ihnen keine weiteren Passagiere an Bord. Während sie ihre Plätze einnahmen, wurden die Motoren angelassen. Die Maschine rollte in weitem Bogen an das Kopfende der Startbahn. Ohne anzuhalten beschleunigte der Pilot schon beim Einschwenken in die Startbahnachse und gab, sobald sie die Startausrichtung erreicht hatten, Vollgas. Aufgrund ihres geringen Startgewichts hob die zweimotorige Maschine nach kurzer Anlaufstrecke ab und gewann rasch an Höhe.
    Sander wollte während des Fluges von Igor erfahren, wie es ihm seit seiner Abreise aus Karatschi ergangen sei, doch der Russe war noch während des Steigfluges eingeschlafen. Er war offensichtlich sehr erschöpft, denn er verschlief den gesamten Flug bis Karaganda. Dort wurde die Maschine an einem entlegenen Standplatz betankt. Sie erhielten Anweisung, während des Auftankens an Bord zu bleiben. Der Kopilot gesellte sich zu ihnen, vermutlich, um die Einhaltung dieser Anordnung zu gewährleisten. Er verstrickte sie in ein mühseliges Gespräch, sichtlich stolz darauf, in unbeholfenem Pidgin-English radebrechen zu können. Als er erfuhr, daß Sander Deutscher sei, rannte er in die Pilotenkanzel und kam mit einem abgegriffenen Photo zurück, das ihn als Heeresflieger auf dem Marktplatz von Torgau zeigte. Von da an unterhielt man sich dreisprachig, was jedoch keinerlei Auswirkung auf die Qualität der Unterhaltung hatte, da das Vokabular des Kopiloten im Deutschen wie im Englischen ein mit Sanders Russischkenntnissen vergleichbares Niveau aufwies. Allerdings erfuhren sie auf diese Weise, daß eine gewisse ‚Ganna‘ während der Stationierung in der DDR eine Rolle gespielt haben muß. Sander war stolz, erklären zu können, daß Russen kein H auszusprechen vermögen, es sich demzufolge vermutlich um eine Hanna gehandelt haben müsse.
    Wenige Minuten nach dem Auftanken stieg die Antonow in steilem Winkel wieder auf Reiseflughöhe. Schon bald ging sie in Horizontalflug über. Der Pilot nahm die Drehzahl zurück, es wurde merklich leiser in der Maschine. Sander drehte sich zu Igor um. Erst jetzt stellte er fest, daß der Russe abgemagert, sein Gesicht eingefallen und von genau so blassem Äußeren war, wie er es von ihrem ersten Zusammentreffen tief unten im Berg in Erinnerung hatte. Was mochte er inzwischen erlebt haben? Igor lächelte. Es war ein mühseliges Lächeln, das weniger seiner tatsächlichen Gemütslage entsprach, als daß es diese vielmehr kaschieren sollte. Der Mann hatte Sorgen, das sah man ihm an! Vermutlich hing dies mit dem Schicksal seiner Familie zusammen. Sollten sich seine alptraumhaften Ahnungen, die er in Karatschi andeutete, bestätigt haben? Sander fürchtete sich plötzlich vor dem Gespräch und beschloß, sich und Igor Zeit zu lassen. Der Russe schien darüber nicht unglücklich.
    Gut zwei Stunden später wagte Sander einen erneuten Anlauf. Er rang um den geschicktesten Gesprächseinstieg, bestrebt, Igor einen Teil der offenkundigen Last zu nehmen. Um so erschrockener war er, als das Ergebnis seines Ringens ein sprödes, wenig einfühlsames ‚Raus mit der Sprache! Wo drückt der Schuh?‘ war. Igor hatte die Frage erwartet. Er berichtete erst stockend, doch dann sprudelte es aus ihm heraus. Es war seit seiner Rückkehr nach Rußland das erste Mal, daß er sich jemandem in uneingeschränkter Offenheit mitteilen konnte. Er erzählte, wie er aus der Ohnmacht erwacht sei, als sie ihm, in der Diele seiner Wohnung am Boden liegend, einen Eimer Wasser über den Kopf gossen. Wie sie ihm klar machten, was sie von ihm erwarteten, wolle er seine Familie nicht gefährden. Wie er darauf bestanden hatte, mit Natascha und den Kindern telefonieren zu können, um wenigstens ein Lebenszeichen von ihnen zu erhalten. Wie Natascha nicht fähig

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