Das Salz im See 1: Ein teuflischer Plan (German Edition)
Ort umgehend zu verlassen. Wer weiß, was ihn hier erwartete! Mit Grausen dachte er an die leblose Hand.
Das flackernde Licht im Abgrund gestattete nun erstmals eine gewisse Orientierung, eine – wenn auch diffuse – Wahrnehmbarkeit des unmittelbaren Umfelds. Die Finsternis hatte plötzlich eine erfaßbare Tiefe, ließ die Dreidimensionalität des Raums erahnen! Für Sander war das in diesem Moment das aufregendste Ereignis seines Lebens. Sein Puls raste. Zuversicht ergriff Besitz von ihm, wie er sie noch nie verspürt hatte. Er war gefangen in einem Verlies aus Abermillionen Tonnen Felsgestein und fühlte sich dennoch befreit! Er würde den Fels besiegen! Er genoß jede noch so unscheinbare Kontur. Dort, wo er den gemauerten Abschluß des Aufzugschachtes in Erinnerung hatte, tat sich nun ein gewaltiges Loch auf. Das den Schacht hinabstürzende Gestein hatte weite Deckenbereiche herausgebrochen und das Mauerwerk des Schachtabschlusses geradezu pulverisiert. Er durchquerte rücklings den Durchbruch, fest entschlossen, den Acheron, den Grenzfluß zur Unterwelt, zu überqueren. Matt schimmerten die Wände des Schachts, das rätselhafte Flackern ließ, ganz schwach nur, ihre Oberflächenstruktur erahnen. Es schien ihm wie ein Wunder – er nahm eine räumliche Struktur wahr, konnte sich endlich einem Umfeld zuordnen! Die Welt hatte wieder ein Oben, Unten, Rechts und Links, ein Nah und Fern. Überwältigt von diesen sonst so banalen Eindrücken empfand er tiefe Dankbarkeit. Niemand würde dies nachvollziehen können, sollte er jemals Willens sein, hierüber zu berichten.
Weiter ging der Abstieg in gleichbleibendem Gefälle, nur das Gleis des Schrägaufzugs fehlte nun wieder. Es hatte in diesem Abschnitt vermutlich nie ein Gleis gegeben. Ganz sicher, er befand sich in einem der Wetterschächte, die sein Interesse so sehr erregt hatten, als er die Tuschezeichnung im Schulungsraum studierte. Hier war seit mehr als 100 Jahren kein Mensch mehr gewesen. Der Schauder des Entdeckers durchflutete seinen Körper. Sein mühseliger Abstieg geriet hastiger, seine Neugier mobilisierte verloren geglaubte Kräfte. Mutig ging es Meter um Meter hinab in das Schattenreich des Hades. Er war sich sicher: Dort lag der Schlüssel des Entkommens, er brauchte ihn nur zu ergreifen!
Endlich erkannte er, was im matten Widerschein einer flackernden Lichtquelle leuchtete: Staub! Simpler Staub, vermutlich aufgewirbelt von der niedergegangenen Felslawine flimmerte er wattig zart, den Schein einer unstet flackernden Lichtquelle reflektierend. Im sanften Luftzug des Schachts quollen aus der Tiefe noch immer bizarre Wolkengebilde, chaotisch an- und abschwellend füllten sie den Schacht, um sich bald, rasch an Leuchtkraft verlierend, wieder aufzulösen. Staub also war es, der dieses diffuse Leuchten übertrug. Doch was flackerte dort in der Tiefe, was war die Lichtquelle? Dies hier war der Bereich eines Bergwerks, in dem der Kohleabbau vor nahezu achtzig Jahren eingestellt wurde! Was hatte das alles zu bedeuten? Mit der Entschlossenheit des Entdeckers drang er in den milchigen Nebel. Er war zuversichtlich: Bald würde er es wissen!
30. Juli, 10:40 Uhr Ortszeit; Basement des Marriott Hotels, Karatschi
Bassett hatte sich verspätet. Der vereinbarte Treffpunkt lag gegenüber dem Silvershop. Er erkannte seinen Informanten schon von weitem. Der nickte ihm kurz zu, winkte mit einem Umschlag. Wenige Sekunden später standen sie nebeneinander vor dem Schaufenster. Bassett ergriff den Umschlag.
„Was ist drin?“
„Zwei Fotos, eines zeigt Hakennase, das andere den hiesigen Koordinator. Offiziell schimpft er sich ‚Niederlassungsleiter‘. Sie treffen sich in der Regel nach dem Freitagsgebet; du hättest also übermorgen Gelegenheit, dir von den Kameraden ein Bild zu machen. Treffpunkt ist ein Hinterhofbüro in Saddar Town, Kharadar, in einer Seitenstraße der Maripur Road. Genaue Adresse liegt bei.“
Bassett schaute kurz in den Umschlag. „Worunter firmieren sie?“
Der Informant zeigte sich bestens präpariert. „ITS Iranian Trade & Services, Import, Export, das Übliche. Haben eine Reihe von Kontrakten, beliefern das Stahlwerk mit Feuerfestprodukten, kaufen Bleche von Schiffzerlegebetrieben, Mangos aus Belutschistan, Lederwaren, Textilien, na, das ganze Programm halt. Auffällig ist die ständig wechselnde Belegschaft und vor allem die Personalstärke. Sie steht in keinem Zusammenhang mit der Geschäftsentwicklung, wir können konkret
Weitere Kostenlose Bücher