Das Salz im See 1: Ein teuflischer Plan (German Edition)
surrte ein elektrischer Schließmechanismus; ich wußte, daß ich auch hier Gefangener war. Eine Weile saß ich still, dann nahm ich mir die Augenbinde ab. Der Schock traf mich wie ein Fallbeil! Ich sah nichts! Definitiv nichts!“
Der Russe war spürbar aufgeregt, die Erinnerung löste in ihm heftige Emotionen aus. Sander faßte ihn beim Arm. „Ich kann das nachempfinden. Mir ging es nicht anders. Auch ich glaubte, ich sei erblindet!“
Igor lachte kurz, fast schrill. Es war kein wirkliches Lachen, eher Hinweis auf die überstandene Gratwanderung am Rande des Wahnsinns. „Genau! Ich dachte, ich sei blind! Tausend Dinge gingen mir in diesem Moment durch den Kopf! Alle endeten mit der einen Frage: Wie haben die das gemacht? Nicht die Erblindung war Gegenstand meiner Aufgeregtheit, sondern deren Ursache! Die Erblindung war für mich Fakt! So, als hätte ich ein Buch zugeklappt – das Buch des Sehens. Ich hatte es gelesen, nun würde das Buch der Finsternis aufgeschlagen. Keine Panik in diesem Moment! Der Schock kam später – obwohl ich da bereits wußte, daß ich sehen konnte!“ Igor keuchte. Er durchlebte die Ereignisse ein zweites Mal.
„Ich war im Begriff, den Verstand zu verlieren. Irgendwann wurde Licht eingeschaltet. Sein greller Schein traf mich völlig unvorbereitet. Ich empfand ihn als Schmerz, wünschte mir allen Ernstes, er möge erlöschen! Es brauchte eine Weile, bis ich begriff: Ich konnte sehen! Ich war schockiert! Schockiert, weil ich unerwartet sehen konnte! Kannst du dir das vorstellen? Erst, als der Schock sich legte, nahm ich bewußt mein Umfeld wahr. Ich befand mich in einem Lagerraum. An den Wänden Hochregallager, in der Mitte ein stählerner Schreibtisch, dahinter ein Bürostuhl. Das war‘s. Der Schließmechanismus der Tür signalisierte Besuch. Schon traf mich der nächste Schock – TM, The Mask betrat den Raum! Wenn Du Gefangener bist, nicht ahnst, was im nächsten Moment auf dich zukommt, und das erste Mal jemanden in den Raum treten siehst, das Gesicht verborgen hinter einer schwarzen Ledermaske, die rechte Hand in einem ebenso schwarzen Lederhandschuh, dann ist das purer Streß! TM kam schnell zur Sache. Er sagte, sie arbeiteten an einem Projekt epochaler Bedeutung. Sie benötigten meine Erfahrung auf dem Gebiet der Handhabung radioaktiver Substanzen. Ich solle mir das in Ruhe überlegen und mich einstweilen als Gast fühlen, mir jedoch nicht einbilden, jemals den Berg lebend verlassen zu können. Den Berg! Ich hatte keine Ahnung, was das bedeutete. Ich war wie vor den Kopf gestoßen.“
Igors Atem ging stoßweise, die Schilderung der Ereignisse ließ ihn offensichtlich alles noch einmal durchleben. „Ich bekam eine Kammer zugewiesen, hinter einem Verschlag ein Waschbecken und ein chemisches Klo. Die Luft war stickig, es gab keine Belüftung, einzig über der Tür war ein Durchlaß, zu schmal, um den Kopf hindurchstecken zu können. Ich wußte damals nicht, daß ich tatsächlich in einem Berg gefangen war. Ohne Uhr und ohne den Tages- und Nachtzyklus verlierst Du rasch jegliches Zeitgefühl. Man ist leicht geneigt, vom Morgen zu sprechen, wenn man wach wird, obwohl der Zeitpunkt des Wachwerdens möglicherweise ein Nachmittag ist. Ich war gefangen im Irgendwo und vegetierte im Irgendwann. Mein einziger Kontakt war TM, den ich aufgrund seines exzellenten, teilweise sophistischen Englisch als äußerst gebildeten Briten identifizierte, Absolvent einer Elite-Uni, vermutlich Oxford oder Cambridge. Ich legte mich auf Oxford fest. Ich weiß nicht, warum ich ausgerechnet auf diese Universität kam. Möglicherweise, weil mir ihr Name geläufig war. Ich hielt es für selbstverständlich, als er dies später tatsächlich bestätigte. Wir trafen uns häufiger. Bei jeder Begegnung stellte er mir die Verbesserung meiner Situation in Aussicht, sobald ich meine Unterstützung des Projektes zusagen würde. Mir war klar, daß sie die Abnehmer des gestohlenen Plutoniums waren. Niemals würde ich mit ihnen kooperieren, ich schwor es mir. Unser Frage- und Antwortspiel wurde zum Ritual. So stereotyp, wie er die Frage nach meiner Kooperationswilligkeit stellte, so stereotyp erklärte ich ihm meine unzureichende Fachkompetenz. Stets blieb er höflich, nie wurde er ausfallend. In der Regel war dann die Zusammenkunft beendet.
So verging die Zeit. Welche Zeit? Es gab dort keine Zeit! Ich merkte, daß die Eintönigkeit und vor allem die Isoliertheit mich zermürbten. War TM nicht im Raum, hörte ich auf
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