Das Salz im See 1: Ein teuflischer Plan (German Edition)
meiner Unterkunft isoliert. Irgendwann bekam ich eine konkrete Aufgabe: die Beurteilung der Löslichkeit von Plutoniumsalzen in Wasser! Schlagartig wurde mir klar, was da ablief. Nicht Bomben waren das Ziel, sondern die nachhaltige Verseuchung von Trinkwasser! Stand des Wissens war, daß radioaktive Reststoffe, wie sie bei der Wiederaufbereitung anfallen, wasserunlöslich sind. Neueste wissenschaftliche Untersuchungen in Rußland hatten jedoch ergeben, daß Plutoniumsalze in Wasser Kolloide bilden, die sich wie gelöste Partikel verhalten, demzufolge mit fortschreitender Zeit über das Grundwasser auch weit entfernte Gebiete verseucht werden können. Ich beschloß, dieses Wissen für mich zu behalten und TM dahingehend zu informieren, daß mineralische Radionuklide grundsätzlich nicht wasserlöslich seien. TM nahm meinen Hinweis kommentarlos zur Kenntnis. Wenig später erschien er in meiner Unterkunft. Er legte wortlos einen Bericht der Moskauer Akademie der Wissenschaften auf den Tisch, der die Kolloidbildung beschrieb und damit die Eigenschaft der Radionuklide, sich in Wasser wie gelöste Stoffe zu verhalten. ‚Ich bin von Ihnen enttäuscht‘, war sein einziger Kommentar. Ich gab meinen Widerstand endgültig auf.
Um nicht direkt an dieser Apokalypse mitzuwirken, verlegte ich mich auf Sicherheitsaspekte der Handhabung radioaktiver Stoffe – Verhinderung von Kontamination bei der Verarbeitung, Havariemanagement, das übliche Programm. Das hatte den Vorteil, daß ich von da an weite Bereiche des unterirdischen Komplexes begehen durfte. Erst da wurde mir bewußt, daß es sich um eine gigantische Fabrik handelte. Vereinfacht gesagt geht es darin um die Aufbereitung waffenfähigen Plutoniums, dessen Überführung in transportfähige Salze und die Entwicklung wasserlöslicher Container. Die Technik kommt ausnahmslos aus Großbritannien und Rußland. Das Areal war auf drei Ebenen verteilt. Die Gesamtfläche aller Labors und Werkhallen schätze ich auf mehr als 4.000 Quadratmeter. Allein die Kavernen zur Säurebehandlung dürften 1.200 Quadratmeter umfassen. Sie verfügen über ein eigenes Abluftsystem. Es gibt darüber hinaus eine autarke Trinkwasser- und Stromversorgung. Alle Komplexe sind betonausgekleidet und – mit Ausnahme der Säurebehandlungsanlagen – an ein Umluftsystem mit hocheffizienten Staubfiltern angeschlossen. Der Komplex ist in mehrere hermetisch voneinander getrennte Sektoren unterteilt. Die Eingänge zu den jeweiligen Luftschleusen sind durch Stahltüren gesichert, deren Schließmechanismus über ständig wechselnde Codes ausgelöst wird. Diese werden auf Chipkarten gespeichert, die jeweils nur für einen Produktionssektor und eine Schicht gelten und nach jeder Schicht abgegeben werden müssen. Die Codes produziert ein Zufallsgenerator der zentralen Computeranlage. Nur die äußerste Schleuse hat eine manuelle numerische Eingabe.“
Sander war gleichermaßen schockiert wie beeindruckt. „4.000 Quadratmeter! Der Abraum hätte doch auffallen müssen!“
Der Russe antwortete wie aus der Pistole geschossen, als hätte er diese Frage erwartet. „Eben nicht! Der Berg wurde in 120 Jahren ausgehöhlt wie ein Halloween-Kürbis. Der Ausbruch wurde zur Verfüllung aufgelassener Stollenanlagen genutzt, insbesondere der zuunterst gelegenen ältesten Stollen. Das ist vermutlich der Grund, warum weite Bereiche trotz des Bebens nicht einstürzten. Allerdings wurde ein Teil der Kavernen massiv beschädigt, in denen der Säureaufschluß stattfand. Darum ist das gesamte Areal radioaktiv verseucht. Der einzige mir bekannte Fluchtweg führt fatalerweise durch diesen Bereich. Aber laß mich fortfahren, denn es kommt noch heftiger. Was ich bisher beschrieb, war – salopp gesagt – die Abteilung ‚Wasserverseuchung‘. Es gibt eine zweite Abteilung, die konzentriert sich auf das Thema ‚Luftverseuchung‘. Dort wird mit zwei Substanzen experimentiert, Sarin, ein bekannter militärischer Kampfstoff, und Botulinumtoxin, ein hochwirksames Nervengift, das tödlichste aller bekannten Gifte. Schon bei einer Dosis von 200 Millionstel Milligramm – hörst du? Milligramm! – tritt bei einem Durchschnittsmenschen tödliche Atemlähmung ein, wird er nicht rechtzeitig mit wirksamen Antitoxinen behandelt. Das Fatale ist, daß die ersten Symptome, meist Übelkeit und Kopfschmerzen, erst nach etlichen Stunden auftreten und in der Regel nicht als Anzeichen einer tödlichen Vergiftung erkannt werden. Mit Eintreten der
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