Das Schapdetten-Virus - Kriminalroman
Heimatverein . Statt der erwarteten älteren Dame mit Tortenkragen, die sich mit plattdeutschen Lyrikern und Volkstheatergruppen auskannte wie in ihrer Handtasche, stieß ich auf eine junge Jeansträgerin, der Anglizismen nicht fremd waren.
»Desmond Solo? Das ist doch der Bildhauer.«
»Genau der«, lächelte ich sie an. »Haben Sie seine Adresse?«
Sie blätterte in einem umfangreichen Werk mit dem weitschweifigen Titel Künstler-Atlas Münsterland und schrieb die Adresse auf einen Zettel.
»Kein Wunder, dass er sich Desmond Solo nennt«, sagte ich zu Koslowski, der vor der Tür gewartet hatte, »in Wirklichkeit heißt er Harald Gausepohl.«
Gausepohl wohnte in einem unscheinbaren Wohnhaus in der Nähe des Bahnhofs. Die Zwitterexistenz manifestierte sich auch auf dem Klingelschild, Solo/Gausepohl war dort in krakeliger Handschrift zu lesen. Anscheinend waren sie gemeinsam ausgegangen.
Ich suchte die Hausfront nach Ruheständlern ab, die durch die Klingelei ans Fenster gelockt wurden. Und tatsächlich erschien im ersten Stock ein grauer Kopf zwischen Topfpflanzen. Ein Winken, und die Seniorin öffnete bereitwillig das Fenster.
»Herr Gausepohl ist um diese Zeit immer in seinem Atelier«, berichtete sie stolz. »Er ist ja so fleißig.« Und sie wusste sogar, wo sich das Atelier befand.
Harald Gausepohl teilte sich mit anderen Künstlern eine stillgelegte Kugellagerfabrik am Dreischkamp, vermutlich so lange, bis der Stadt für das Gelände eine ökonomischere Nutzung einfiel. Die muffigen Gänge waren seit Jahrzehnten nicht mehr gestrichen worden und voller Kritzeleien und angeklebter Zettel. Es roch nach Farbe, Terpentin und verbrauchter Kreativität.
Hinter der Tür, in die Desmond Solos Name eingebeizt war, tat sich eine andere Welt auf. Solos Atelier war sauber, hell und mindestens sieben Meter hoch. Großvolumige, abstrakte Skulpturen aus Metall, Ton und Holz standen herum, auf einem Tapeziertisch lagen Entwürfe aus Pappe. Der Künstler selbst feilte an einem überlebensgroßen, mit Dellen versehenen Metallblock, über dem, von zwei schmalen Streben gehalten, eine flache Scheibe schwebte.
»Herr Solo«, sagte ich.
Unwirsch unterbrach er das Feilen. »Was wollen Sie?«
Er trug eine grüne Pluderhose und ein beiges, gerüschtes T-Shirt. In Münster hätte man seine Kleidung für tuntig gehalten, womöglich handelte es sich aber bloß um die in Coesfeld allgemein anerkannte Künstlertracht.
»Mit Ihnen reden.«
»Ich bin beschäftigt, das sehen Sie doch.«
Koslowski wackelte an einem schwarzen Sockel, aus dem metallische Schienen in die Luft ragten.
Solo wurde nervös. »He, was machen Sie da? Lassen Sie die Figur los!«
Koslowski ließ los, und der Sockel kam nach einem bedenklichen Schwanken zum Stillstand.
»Wie heißt das Kunstwerk?«, fragte ich.
»Autobahnkreuz, aber das ist … Kommen Sie etwa von einer Galerie oder einem Museum?« Solo rollte das R, eine Eigentümlichkeit vieler Coesfelder.
»Wir sind aus privater Neigung kunstinteressiert«, antwortete ich.
Koslowski sah sich um, dann trat er zu einer baumlangen Holzfigur und prüfte deren Statik.
»Sagen Sie ihm, er soll das lassen! Die Skulpturen sind wertvoll.«
»Er muss alles anfassen, das ist so seine Art«, bedauerte ich. »Wenn Sie allerdings mit uns reden wollen …«
»Ja, verdammt noch mal.«
»Geht das auch freundlicher?«
Ich fragte mich, wie lange Koslowski die Figur halten konnte, sein Gesicht wurde bereits rot vor Anstrengung.
»Womit kann ich Ihnen dienen?«, hauchte Solo entsetzt.
»Sehr schön«, lobte ich ihn.
Koslowski brachte die Holzstele in die Senkrechte und klopfte sich die Hände ab. Solo atmete erleichtert auf.
»Kennen Sie das Vegane Kommando Münsterland?«
Der Künstler erbleichte unter seinem in den Spitzen ergrauten Vollbart. »Veganes Kommando Münsterland, was ist das?«
Ich schaute mich zu Koslowski um.
»Ja, ich habe davon gehört«, sagte Solo schnell. »Die wenden sich gegen Tierquälerei und so.«
»Franka Holtgreve war oft bei Ihnen.«
»Sie war ein paar Mal hier, das stimmt. Sie interessiert sich für meine Arbeit.«
»Wo haben Sie sie kennengelernt?«
Solo kräuselte die Stirn. »Das weiß ich nicht mehr.«
»Im Solambo ?«
»Schon möglich. Worauf wollen Sie eigentlich hinaus?«
»Haben Sie etwas mit ihr?«
»Mit Franka?« Er lachte empört. »Ich bin zwanzig Jahre älter.«
»Das ist für manche Männer kein Hindernis, vor allem, wenn sie reich oder berühmt
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