Das scharze Decameron
Mekkapilger sagte aber zu seiner jungen Frau: »Warte einmal! Bleib einmal hier und sage mir, warum du mir nicht antwortest und mir ein so unfreundliches Gesicht zeigst!« Die junge Frau wandte sich nun wohl ihrem Manne zu; sie sah ihn aber sehr zornig an und sagte: »Weshalb ich unfreundlich zu dir bin? Nun, weil du ein schlechter Mann bist, ein sehr schlechter Mann! Deinem toten Vater zuliebe bist du weggelaufen nach Mekka und hast mich, deine lebende junge Frau, mit einem unfertigen Kinde zurückgelassen. Und einen Krüppel hätte ich bei derart abgebrochener Arbeit mir zur Schande geboren! Dank aber dem fleißigen Muezzin vom großen Minarett, der in vorzüglichster Weise das unterbrochene Werk fortgesetzt hat und in so unermüdlicher Tätigkeit dem Rumpfe alle Glieder, von der Nase bis zur großen Zehe, zugearbeitet hat!«
Als der Mekkapilger das hörte, sagte er bei sich: »Oho, steht die Sache so!« Zu seiner Frau sagte der Mekkapilger nichts. Am gleichen Tage ging er aber zu dem Muezzin, den er von früher wohl kannte, erzählte ihm, daß er die versprochenen Gebete ausgeführt habe, und schloß mit ihm herzliche Freundschaft. Diese Freundschaft pflegte der Mekkapilger mit aller Sorgfalt und besuchte seinen neuen Freund alle Tage. So erfuhr er denn bald, daß dieser seine Frau in eine einige Tagereisen entfernte Stadt gesandt habe, damit sie dort für einige Monate bei ihren Eltern verbleibe. Der Mekkapilger merkte sich dieses alles ganz genau und besuchte außerdem seinen Freund, den Muezzin, so häufig, daß jener nicht imstande war, etwas ohne Wissen des Mekkapilgers auszuführen. Einige Tage lang empfand der Muezzin die Behinderung an der ihm gewohnt gewordenen Nebenarbeit sehr angenehm, denn gerade in den letzten Tagen hatte die junge Frau des Mekkapilgers bei der Ausarbeitung der großen Zehen große Rührigkeit an den Tag gelegt und hatte mehr Geduld und Aufnahmefähigkeit gezeigt, als er auf die Dauer zu ertragen vermochte. Nachdem der Muezzin also einige angenehme Tage der Ruhe an der Seite des neuen Freundes genossen hatte, begann er sich nach einer frischen Betätigung zu sehnen und sagte bei sich: »Zwar wünsche ich mir auf die Dauer nicht eine Frau wie die dieses Mekkapilgers, eine Frau, die mehr Bewegungsfreude und Ausdauer besitzt als ein Mann. Sehr angenehm wäre es mir aber, wenn meine eigene Frau nun wieder zu mir zurückkehrte, denn ihre Sanftmut ist auf die Dauer doch genußreicher und leichter zu ertragen als das Ungestüm der andern.«
Nachdem der Mekkapilger nun also einige Zeit in der Stadt und viel in der Umgebung des Muezzin geweilt hatte, sagte er eines Tages zu seinem Freund: »Ich werde morgen wieder für einige Tage verreisen und werde jene Stadt aufsuchen.« Dabei nannte der Mekkapilger den Namen der Stadt, in der die Frau des Muezzin bei dessen Schwiegereltern wohnte. Als der Muezzin dies hörte, dachte er bei sich: »Dieser Mann verreist offenbar nur, um einmal wieder seiner Frau für einige Zeit zu entgehen und sich auszuruhen. Da seine Frau ihn also sehr in Anspruch genommen haben wird, scheint er mir für einige Zeit gänzlich ungefährlich für alle Frauen.« Der Muezzin sagte aber laut zu dem Mekkapilger: »Hast du in jener Stadt irgend jemand, bei dem du unterkommst?« Der Mekkapilger sagte: »Nein, ich kenne in dieser Stadt niemand.« Der Muezzin sagte: »Höre, mein Freund, das trifft sich ausgezeichnet. In jener Stadt wohnen nämlich meine Schwiegereltern, bei denen augenblicklich meine Frau zu Besuch weilt. Ich will dir also einen Brief an meinen Schwiegervater mitgeben, so daß du bei ihm wohnen kannst. Ich bitte dich aber um die Gefälligkeit, wenn du heimkehrst, meine Frau unter deinem Schutze mitzubringen und darauf zu achten, daß ihr auf dem Weg durch die Wüste nichts abhanden kommt.« Der Mekkapilger sagte: »Ich hatte zwar an ein anderes Unterkommen gedacht; wenn dir aber, meinem Freund, daran gelegen ist, so will ich deinem Wunsche gern nachkommen.«
Am andern Tage machte sich also der Mekkapilger mit dem Briefe auf den Weg und kam nach einer längeren Reise auch bei den Schwiegereltern des Muezzin an. Er weilte bei diesen einige Tage und bereitete die Rückwanderung vor, und dem Inhalt des Briefes entsprechend, bat der Gastwirt den Mekkapilger, sich seiner Tochter anzunehmen und sie zu seinem Schwiegersohne zurückzuführen. Der Mekkapilger reiste also mit der Frau des Muezzin ab. Nachdem er am ersten Tage nur einen kleinen Marsch zurückgelegt hatte,
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