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Das scharze Decameron

Das scharze Decameron

Titel: Das scharze Decameron Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo Frobenius
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gebildet, daß es mir scheint, ich könne derzeit nichts Angenehmeres erleben, als das weiterzuführen, was dieser Mekkapilger an ihr begonnen hat. Ich werde also mit der Alten, die bei der jungen Frau ein und aus geht, Freundschaft schließen. Vielleicht kann sie mir in meinem Drang, die junge Schöne über die Einsamkeit hinwegzutrösten, helfen.«
    Der Muezzin sprach also eines Tages die Alte an und bat sie, ihn einmal aufzusuchen, da er mit ihr etwas besprechen wolle. Die Alte kam dem Wunsch sehr bald nach, und als der Muezzin sich mit ihr allein sah, sprach er zu ihr: »Meine liebe Frau, ich denke, du mußt eine reiche Erfahrung haben und mußt es wissen, daß die Bedürfnisse und Wünsche der Leute recht verschieden sind.« Die Alte sagte: »Gewiß weiß ich das und kann selbst viel darüber sagen.« Der Muezzin sagte: »Dann wirst du wissen, daß einigen Menschen dann und wann im Kopf das herzlichste Bedürfnis aufwacht, nach Mekka zu pilgern, während andere Leute an tiefer gelegenen Körperteilen einen ebenso starken Drang empfinden, näher gelegene Ziele zu erreichen. Du wirst dieses wissen.« Die Alte sagte: »Hierin hast du sicherlich recht, und ich darf wohl annehmen, daß du mich nicht hast zu dir kommen lassen, um mich über den Weg nach Mekka zu befragen.« Der Muezzin sagte: »So ist es! Ich habe nicht im geringsten vor, nach Mekka zu pilgern.« Die Alte sagte: »Dann wohnt deine Bedrängnis also wohl tiefer und das Ziel deiner Sehnsucht näher.« Der Muezzin sagte: »Ganz so wollte ich es gesagt haben. Ich habe in der Tat eine Beschäftigung, die mich den halben Tag mit den Dingen des Propheten in so engem Zusammenhang erhält, daß ich nicht daran denken kann, den oberen Teil meines Leibes in der Richtung nach Mekka weiter wegzuführen, als das Gebet es vorschreibt. Ich habe auch vor einigen Tagen wieder einen Bekannten nach Mekka pilgern sehen, der mir außerdem versprach, für mich dort zu beten, so daß für den oberen Teil meines Körpers gesorgt ist.« Die Alte sagte: »Wenn du also dem Bedürfnis des Kopfes durch deinen Freund in Mekka Rechnung getragen siehst, so meinst du wohl, daß du dafür jenen Pflichten nachkommen könntest, die jener Mekkapilger hier in der Stadt derweilen versäumt?« Der Muezzin sagte: »Ich sehe, du bist eine kluge Frau. Ich werde auf keinen Fall undankbar sein, weder gegen einen andern noch gegen dich.«
    Die Alte sagte: »Wenn die Sache so steht, so will ich gern sehen, wie ich dich den Zielen deiner Sehnsucht näherbringen kann, und ich denke mir, daß mir das nicht schwer werden kann, wenn du nämlich den Wunsch hast, die Tätigkeit fortzusetzen, die der Jungverheiratete Mekkapilger so plötzlich unterbrochen hat.« Der Muezzin dankte darauf der Alten, und diese eilte schnell zu der jungen Frau des Mekkapilgers hinüber. Die Alte sagte zu der Jungen: »Wenn ich es recht überlege, muß ich doch sagen, daß dein Mann sehr schlecht an dir gehandelt hat und daß du sehr zu bedauern bist!« Die junge Frau sagte: »Weshalb beschimpfst du meinen Mann?« Die Alte sagte: »Ich beschimpfe deinen Mann nicht; ich finde nur, daß er mit dem unfertigen Kind sehr schlecht an dir gehandelt hat, und daß er erst einmal das Kind seiner Frau ausarbeiten konnte, ehe er sich entfernte, um den Wunsch seines Vaters so schnell zu erfüllen.« Die junge Frau sagte: »Was meinst du mit dem unfertigen Kind?« Die Alte sagte: »Nun, er hat dein Kind nicht fertig ausgearbeitet! Er hat nur für den Körper gesorgt. Wenn das Kind so geboren wird, werden ihm der Kopf und alle Glieder fehlen. Er ist von der unfertigen Arbeit fortgelaufen, und dir wird die Schande widerfahren, diesen Krüppel gebären zu müssen.« Die junge Frau erschrak sehr und sagte: »Ist es sicher so?«
    Die Alte sagte: »Sicher ist es so! Du kannst jeden Menschen fragen, der davon genug versteht. Noch vor wenigen Tagen sprach ich mit dem Muezzin des großen Minaretts, der durch seine ausgezeichnete Kinderarbeit bekannt ist, über eine ähnliche Sache.« Die junge Frau sagte: »Ach, was ist mein Mann schlecht! Was ist mein Mann schlecht! Aber sage mir doch, kann mir jener Muezzin, der durch seine ausgezeichnete Kinderarbeit so bekannt ist, nicht noch helfen, daß das Kind fertig wird?« Die Alte sagte: »Gewiß kann er das. Du mußt ihn nur bitten!« Die junge Frau sagte: »Meine Freundin, ich bitte dich, gehe schnell zu dem geschickten Muezzin und sprich mit ihm. Willst du es tun?« Die Alte sagte: »Wenn du durchaus

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