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Das scharze Decameron

Das scharze Decameron

Titel: Das scharze Decameron Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo Frobenius
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schlug er am zweiten den Weg in die Wüste ein, der ein gut Teil kürzer als der übliche, aber für den ersten Tagesmarsch sehr anstrengend war, zumal die Reisenden die folgende Nacht unter einigen Bäumen allein in der Wildnis übernachten mußten.
    Also kamen der Mekkapilger und die Frau des Muezzin abends sehr ermüdet an diesem einsamen Lagerplatz unter den Bäumen an. Der Mekkapilger sagte zu der Frau des Muezzin: »Höre, wir sind hier in großer Einsamkeit, und es wird gut sein, daß immer einer von uns wacht, damit wir auf das Herankommen von Dieben oder Raubtieren vorbereitet sind. Laß mich nun erst zwei Stunden schlafen, so daß ich ganz frisch bin. Dann wecke mich und ich werde den Rest der Nacht wachen, so daß du ungestört und unbesorgt dich bis zum Morgen ausschlafen kannst. Wecke mich also nur nach zwei Stunden.« Die Frau des Muezzin sagte: »Damit bin ich ganz einverstanden.« Der Mekkapilger sagte: »Wecke mich nur nach zwei Stunden!«
    Dann legte sich der Mekkapilger hin und schlief sogleich ein. Die Frau des Muezzin nahm sich zwar vor, wach zu bleiben, der Tagesmarsch war aber sehr beschwerlich gewesen, und so kam es, daß auch sie nach einiger Zeit einschlief. Der Mekkapilger erwachte aber bald darauf. Er sah vorsichtig hin, ob die junge Frau auch fest schlief; dann ging er zu ihr und nahm ihr vom Hals und von den Händen allen Goldschmuck, den sie umhatte, und steckte ihn in seine Beinkleider. Nun legte er sich an seinen alten Platz und schlief bis zum nächsten Morgen.
    Am andern Morgen erwachte die Frau des Muezzin zuerst. Sie bemerkte sofort, daß ihr gesamter Schmuck abhanden gekommen war. Sie erschrak sehr und weckte sogleich den Mekkapilger. Dieser fuhr aus dem Schlaf und sagte: »Warum hast du mich nicht in der Nacht geweckt? Es hätte uns sehr leicht etwas geschehen können!« Die Frau des Muezzin sagte: »Es ist auch etwas geschehen. Ich bin vor Müdigkeit eingeschlafen, und da ist ein Dieb vorbeigekommen und hat mir meinen ganzen Goldschmuck gestohlen.« Der Mekkapilger fuhr auf und sagte: »Was, ein Dieb hat dich bestohlen? Wir müssen sogleich die Fußspuren im Sande suchen, um so zu erfahren, auf welchem Wege er von dannen gelaufen ist. Sieh gleich auf allen Seiten um dich. Ich gehe selbst auch umher.« Die Frau des Muezzin sah um sich. Sie blickte nach allen Seiten. Die Frau sagte: »Ich sehe nur die Spuren, die wir selbst getreten haben, als wir gestern abend unser Gepäck aufschichteten.« Der Mekkapilger schüttelte den Kopf und sagte: »Diese Sache ist sehr ernst; ich kann auch nicht mehr sehen. Wie kann das nur geschehen sein!«
    Der Mekkapilger setzte sich hin und dachte nach. Die Frau des Muezzin setzte sich neben ihn und dachte nach. Die Frau des Muezzin sagte nach einiger Zeit: »Fällt dir nichts ein?« Der Mekkapilger sagte: »Es fällt mir schon etwas ein, aber es ist eine schwierige Sache!« Die Frau des Muezzin sagte: »Sage es mir, denn das ist mir eine schlimme Angelegenheit mit dem Verlust!« Der Mekkapilger sagte: »So höre denn, du Frau meines Freundes! Du weißt doch, daß Männer und Frauen einen Unterschied haben!« Die Frau sagte: »Das weiß ich!« Der Mekkapilger sagte: »Nun gut. Der Unterschied vieler Frauen ist diebisch und stiehlt sehr gern. Das Stehlen ist dem Unterschied der Frauen angeboren. Meist stiehlt der Unterschied der Frauen nun allerdings den Männern. Wenn er aber lange Zeit nichts bei Männern zu stehlen gehabt hat, so stiehlt er sehr leicht auch einmal seiner eigenen Herrin etwas. Da nun rund herum keine fremde Fußspur zu sehen ist, so kann ich es nicht anders annehmen, als daß dein eigener Unterschied, wenn er sonst längere Zeit nicht seinen Mann zu bestehlen Gelegenheit gehabt hat, dich selbst bestohlen und den Raub in seinem Innern verborgen hat.« Die junge Frau des Muezzin sagte: »Daß mein Unterschied bei Männern gern stiehlt, habe ich, seitdem ich verheiratet bin, oft bemerkt. Auch hat er in letzter Zeit keine Gelegenheit gehabt, etwas zu stehlen. Sage mir nur, ich bitte dich, wie kann man dem Unterschied die Schmucksachen wieder wegnehmen?«
    Der Mekkapilger wiegte den Kopf hin und her und sagte: »Das kann eine Frau nicht allein machen. Ein Mann muß langsam und vorsichtig seinen eigenen Unterschied in das Innere führen und danach suchen. Es muß aber bald nach dem Raub und langsam und vorsichtig geschehen, denn sonst wird der Raub immer weiter im Innern versteckt, und du weißt, daß er dann erst als Kind wieder

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