Das scharze Decameron
deshalb alle Leute des Ortes zusammen und fordere von deinem Vater folgende Vereinbarung: Kann das neugeborene Kind, das dein Vater heute abend schickt, morgen früh nicht sprechen, so darf er dich töten; kann das Kind aber sprechen, so muß er auf das Leben und das Emirat zu deinen Gunsten verzichten. Geh hin und fordere dies von ihm vor allen Leuten. Es ist die Stunde, da alle Angesehenen bei ihm versammelt sind.«
Der Sohn des Emir ging zu seinem Vater. Alle angesehenen Leute waren bei dem Emir versammelt. Der Sohn trat vor den Vater und sagte: »Mein Vater, du verlangst von mir, daß ich ein Kind, das heute abend geboren wird, zu mir nehme und dafür sorge, daß es morgen früh spricht; das forderst du von mir und erklärst, daß du mich töten willst, wenn ich das nicht vermag. Ich erkläre mich vor allen diesen Zeugen hiermit einverstanden unter der Bedingung, daß wenn ich das Unmögliche, was du jetzt unter Todesdrohung von mir verlangst, möglich mache, daß du dann selbst zu meinen Gunsten auf das Leben und das Emirat verzichtest.« Der Emir sagte: »Das ist mir recht. Denn wenn du hiernach nicht stirbst, hat das Leben für mich auch keinen Wert mehr.« Der Sohn ging.
Am Abend wurde in der Stadt ein Kind geboren. Man brachte es in das Haus des jüngsten Sohnes. Die Tochter des Alledjenukönigs legte es auf eine Matte. Der jüngste Sohn des Emir und seine Frau legten sich zum Schlafen nieder. Am andern Morgen erwachten sie von einem starken Geräusch. Der Emir war mit allen angesehenen Leuten gekommen und wartete vor dem Hause. Der Emir betrachtete das neue, große Haus und die Gärten, und alle Leute stießen Schreie der Bewunderung aus. Der Emir forderte laut Einlaß.
Da erhob sich der kleine Knabe, der am Tage vorher geboren war, von der Matte, auf die ihn die Tochter des Alledjenukönigs gelegt hatte, ging hin und öffnete das Tor. Der kleine Knabe blickte auf den Emir und die angesehenen Leute, die um ihn waren. Der Emir sagte: »Ist das nicht der Knabe, der gestern geboren wurde?« Die Leute sagten: »Ja, das ist er!« Der kleine Knabe sagte: »Ja, ich bin der Knabe, der gestern abend geboren war. Ich kann, wie du und alle Zeugen hier hören, sprechen, und du hast damit dein Leben und dein Emirat verloren.« Als der Knabe das gesagt hatte, fiel der Emir hin und war tot.
Darauf wurde sein jüngster Sohn der Herr des Landes.
Die Freunde
Sahel
In Sadia lebte der König Anko Gindo. Anko Gindo hatte siebzig Frauen. Aber keine dieser Frauen ward schwanger. Von allen diesen siebzig Frauen bekam er kein Kind. Darauf nahm er eine Urussufrau, und diese ward auch sogleich schwanger. Am selben Tage, wie die junge Frau des Königs Anko, gebar auch die Frau des Spielmanns des Königs, und so waren Königssohn und Spielmannssohn gleich alt. Der Königssohn erhielt den Namen Badju. Der Spielmannssohn erhielt den Namen Gimmile.
Da Badju Gindo und Gimmile Drami am gleichen Tage geboren waren, ließ der König sie auf einen hohen Turm an der Verteidigungsmauer bringen und dort oben ihnen einen Wohnplatz herrichten. Wenn die kleinen Kinder schrien und genährt werden sollten, mußten die Mütter immer auf den Turm steigen und nachher ihn wieder verlassen. Und das blieb so, bis die Kinder nicht mehr die Mutterbrust nahmen und auch nachher. Die beiden Kinder kamen nie zur Erde herab, sie mußten immer oben bleiben und sahen die Erde und das Leben auf der Erde nicht anders, als von ihrem Turme aus. Und das wurde nicht anders, als bis sie erwachsen waren. Als sie erwachsen waren, durfte Gimmile zuerst einmal heruntersteigen. Er ging herab, und da sah er eine junge Frau des Königs, die war sehr schön. Sowie er sie sah, hatte er sie sehr lieb. Es war aber eine Frau des Königs. Da wurde er traurig, stieg wieder auf den Turm zu Badju, band sich ein Tuch um den Kopf und legte sich in eine Ecke. Badju sagte: »Was ist dir, mein Gimmile?« Gimmile sagte: »Mir ist nichts Besonderes. Ich habe Kopfschmerzen.« Badju sagte: »Wenn mein Gimmile Kopfschmerzen hat, habe ich auch Kopfschmerzen.« Er band sich ein Tuch um den Kopf. Badju und Gimmile waren so gute Freunde, daß sie nicht anders konnten, als alles miteinander zu teilen.
Nachher kam eine Frau mit dem Essen für die beiden auf den Turm. Beide Jünglinge lagen mit ihren verbundenen Köpfen nach der Wand zu und wandten sich gar nicht um. Badju sagte: »Nimm das Essen nur wieder mit, wir sind krank und wollen nichts haben. Badju und Gimmile sind krank.« Die Frau nahm
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