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Das Schattenbuch

Das Schattenbuch

Titel: Das Schattenbuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Siefener
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Wand gelehnt, ein Bierfass mit
einem Kissen darauf diente als Hocker. »Vampyr«
setzte sich darauf, ohne seinen Gästen einen Platz
anzubieten. Also mussten sie vor dem Meister stehen bleiben.
    »Ja, das Schattenbuch«, sagte er mit
bedeutungsschwerer Stimme, »eine ganz seltsame
Sache.«
    »Haben Sie noch ein Exemplar?«, fragte Arved in
der Hoffnung, dass der Künstler verneinte, denn sonst
hätten sie nicht nach dem Autor fragen können.
    Zum Glück schüttelte Vampyr den Kopf. »Nicht
mal mehr mein eigenes, oder vielleicht doch, ich weiß
nicht, aber hergeben würd ich es sowieso nicht. Zu
wertvoll.« Er legte den Kopf in den Nacken. Arved fragte
sich, welche Farbe seine Augen haben mochten. Grau? Gelb?
Schwarz?
    »Kennen Sie den Autor?«, fragte Lioba, die sich
mit ihren Wanderschuhen genügend Platz zum Stehen
freigescharrt hatte.
    »Carnacki, glaube ich. Irgend so ein
Polackenname.«
    »Sind Sie ihm einmal begegnet?«, fragte Lioba
weiter und sah sich um. Sie zog die Mundwinkel herunter. Dann
plötzlich glitt wieder ein Lächeln über ihre rot
geschminkten Lippen. Sie bückte sich und zog aus einem
Papierhaufen eine Graphik hervor.
    »Seien Sie vorsichtig«, rief Vampyr, flog auf und
nahm ihr das Blatt aus der Hand. »Das ist ein
Bresdin.«
    »Das habe ich bemerkt«, meinte Lioba.
»Deswegen wollte ich es mir ja ansehen.«
    Der Künstler zog die Brauen so hoch, dass sie über
den Rand seiner schwarzen Brille lugten. »Sie kennen sich
aus?«
    »Ein wenig.«
    Arved hatte keine Ahnung, wer oder was Bresdin war, deshalb
schwieg er lieber.
    Lioba schien sein Unverständnis bemerkt zu haben und
erklärte knapp: »Bresdin war ein Radierer und
Lithograph aus dem neunzehnten Jahrhundert, der mit seinen
phantastischen Kompositionen auch noch den letzten
Quadratmillimeter des Blattes bedeckte, als empfinde er Grauen
vor der leeren Fläche. Er zählt zu den Wegbereitern der
Moderne in der Graphik, und seine Bilder sind extrem
wertvoll.«
    Vampyr setzte sich wieder auf den Bierhocker und stützte
sich mit seinen langen, dürren Händen auf den Knien ab.
Er hatte gelangweilt zugehört und fragte nun: »Was
wollten Sie noch gleich wissen?«
    »Ob Sie Thomas Carnacki persönlich kennen?«,
sagte Lioba, deren Blicke nun wie Fühler durch den Raum
schlichen. Die Antiquarin hatte die Witterung aufgenommen;
bestimmt war der Bresdin nicht wertlos.
    »Nein.«
    »Wie sind Sie dann zu dem Illustrationsauftrag
gekommen?«, wollte Arved wissen, der vorsichtig von einem
Bein auf das andere trat, weil er keine Ahnung hatte, ob die
teils bedruckten, teils beschmierten Bilder auf dem Boden um ihn
herum wertvoll waren oder nicht.
    Vampyr kratzte sich am Kinn. »Weiß ich auch nicht
mehr. Muss so Anfang der achtziger Jahre gewesen sein. Ja,
richtig, 1981. Damals hatte ich gerade meinen Zyklus Werden
und Vergehen fertiggestellt. Den kennen Sie ja, wenn Sie
meine Bewunderer sind.«
    Arved spürte, wie er rot wurde. Was sollte er bloß
darauf sagen? Als er noch krampfhaft nach einer passenden Antwort
suchte, kam ihm Lioba zuvor:
    »Eines Ihrer größten Werke«,
flötete sie. »Die sozialethischen Implikationen seiner
metaphysisch-existentialistischen Projektionen sind einfach
umwerfend. Aber ich würde es mir nie erlauben, über
dieses Meisterwerk mit Ihnen zu diskutieren, da ich niemals die
subtextuellen Bedeutungsschemata restlos ausloten könnte.
Doch wir sollten zum Schattenbuch zurückkommen. 1981 haben
Sie Ihre begeisternden Bilder zu diesen Geschichten geschaffen.
Wie kam es dazu?«
    Es dauerte eine Weile, bis Vampyr sich von diesen großen
und in Arveds Ohren hohl klingenden Worten erholt hatte. Dann
aber grinste er über das ganze schmale Gesicht. »Ein
Brief«, sagte er, nachdem er das Grinsen wieder ausgeknipst
hatte und ganz ernsthafter Künstler war. »Ein
handschriftlicher Brief ohne Absender. Irgendwas an dem Brief war
völlig absonderlich, aber ich weiß nicht mehr, was es
war. Das Papier oder so. In dem Brief wurde der Wunsch nach drei
Holzschnitten ausgedrückt, Auflage je einhundert. So hoch
war wohl auch die Auflage des Buches, nehme ich an. Das
Manuskript lag bei. Dazu zweitausend Mark in großen
Scheinen.«
    Lioba stieß einen undamenhaften Pfiff aus. »Das
war eine Menge Geld«, meinte sie und verschränkte die
Arme über der Brust.
    »Nicht für mich«, entgegnete Vampyr.
»Ich habe ganz andere Summen bekommen damals.«
Offenbar hatte er Arveds

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