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Das Schattenbuch

Das Schattenbuch

Titel: Das Schattenbuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Siefener
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den Kopf.
    »Zu auffällig, zu protzig. Außerdem fahre ich
lieber selbst.«
    Arved zuckte die Schultern und setzte sich neben sie. Kaum
hatte er die Tür geschlossen, schoss der kleine Wagen
davon.
    Während der Fahrt schaute er Lioba immer wieder
verstohlen von der Seite an. Wenigstens rauchte sie am Steuer
nicht. Dafür fuhr sie wie der Teufel persönlich.
Verkehrsschilder schienen für sie nicht zu existieren und
Geschwindigkeitsbeschränkungen erst recht nicht. Manchmal
spielte ein leichtes Lächeln um ihre schmalen Lippen. Sie
saß völlig entspannt hinter dem Lenkrad.
    Sie fuhren über die Landstraße. Die Reise ging
vorbei an Hillesheim, Kronenburg, durch Jünkerath und
Stadtkyll, dann ein Stück durch Belgien, wieder hinein nach
Deutschland, und hinter Monschau kamen die ersten Hinweisschilder
nach Kornelimünster.
    Arved beachtete die wundervolle Landschaft mit den vielen
Wiesen, Weiden und ausgedehnten Waldgebieten kaum. Er dachte
immer wieder an den vergangenen Tag und an Liobas Arbeitszimmer.
Welch ein Unterschied zu ihrem Wohnzimmer! Hier beherrschte
Ordnung, dort vollkommenes Chaos. Zwei Seiten, deren Symbiose die
Frau neben ihm war. Er erinnerte sich daran, wie sie gestrauchelt
war und er sie aufgefangen hatte. Die Berührung hatte ihm
gut getan. Er begehrte sie nicht – schließlich war er
immer noch geweihter Priester, und sein Zölibatsversprechen
stand deutlicher vor ihm, als es ihm lieb sein konnte –,
aber das bloße Gefühl eines anderen Menschen hatte ihm
geholfen, für kurze Zeit das Gefühl für sich
selbst wiederzugewinnen. Nun war es allerdings bereits zur
Erinnerung verblasst.
    An einem kleinen Flüsschen vorbei führte die
Straße in den Ort hinein. Bald tauchte zur Rechten der
gedrungene Körper einer gewaltigen Kirche auf, und eine
Brücke führte hinein in den historischen Ortskern. Vor
der Kirche, an deren Chor ein barockes weißes Oktogon
angebaut war, befand sich ein großer Parkplatz. Lioba
lenkte den Renault in eine freie Bucht.
    »Es ist sehr freundlich von Ihnen, dass Sie mich auf
dieser Suche begleiten«, sagte Arved, weil er endlich das
Schweigen durchbrechen wollte, das sich während der letzten
Kilometer eingeschlichen hatte.
    Lioba stellte den Motor ab und sah ihn kurz an. In ihren
dunkelbraunen, beinahe schwarzen Augen funkelte es. »Sie
haben mich angesteckt«, meinte sie. »Das ist das
erste Mal für mich.«
    »Das erste Mal?«
    »Dass ich dem viertklassigen Illustrator eines
drittklassigen Autors nachjage.«
    Arved musste lachen.
    Sie stiegen aus und stellten fest, dass sie sich bereits auf
dem Korneliusplatz befanden. Die alten Häuser drängten
sich aneinander, als wollten sie sich gegenseitig stützen.
Manche standen mit dem Giebel zum Platz, manche mit der Traufe,
was dem Platz das Aussehen von beinahe organischem Wachstum
verlieh. Einige Gebäude waren aus Bruchstein, andere aus
Fachwerk, wieder andere waren grün, rot oder weiß
verputzt. Kletterrosen, wilder Wein und Efeugerank
schmückten viele Fassaden.
    Die massige gotische Kirche der ehemaligen Reichsabtei schob
sich wie ein Keil in den Ort, wie ein Finger, der auf etwas
zeigte. Sie suchten den Platz nach der Nummer 42a ab, fanden sie
aber nicht.
    »Eine Adresse, die es nicht gibt«, sinnierte
Arved, »in einem Ort, der wie aus der Zeit gefallen zu sein
scheint.«
    Lioba gab keine Antwort darauf, sondern ließ Arved
einfach auf dem Platz stehen und ging in ein Restaurant mit dem
schönen Namen Napoleon. Kurz darauf kam sie wieder
heraus und winkte Arved heran, der sich vor der Sonne unter eine
ausladenden Linde geflüchtet hatte.
    Das gesuchte Haus befand sich in einer Seitenstraße und
hing beinahe über dem kleinen Fluss, der an dem historischen
Ortskern vorbeifloss. Es war die Inde, wie ihnen eine kleine
Hinweistafel verriet.
    Von dem kleinen Haus mit der Nummer 42a blätterte die
Farbe ab. Es sah aus, als habe das ehemals weiße, niedrige
Gebäude Ausschlag. In der kleinen, pittoresken
Seitenstraße wirkte es wie ein Fremdkörper, wie ein
Geschwür, von dem zu hoffen war, dass es bald in den Fluss
stürzte und dann die Straße nicht weiter störte.
Die Fenster waren blind, hinter ihnen hingen Gardinenfetzen. Das
Dach war eingesackt und zog sich weit in die Fassade hinein,
sodass man den Eindruck bekam, als runzelte es die Stirn. Die
Straße wurde von der frühmittäglichen Sonne
beschienen, doch das ein wenig zurückgesetzte Haus lag

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