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Das Schattenbuch

Das Schattenbuch

Titel: Das Schattenbuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Siefener
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sagte, habe ich
noch einen Interessenten.«
    »Abraham Sauer, pah! Der ist doch nicht einmal
promoviert! Bestimmt kann er kein Latein. Zumindest nicht so gut
wie ich. Er hat kein Recht, dieses Buch zu bekommen. Man
weiß ja so gar nichts über ihn. Er ist einfach nicht
vertrauenswürdig.«
    Abraham Sauer besaß bereits zwei Ausgaben der Daemonolatreia, aber das musste Lioba Herrn Doktor
Klöten ja nicht auf die Nase binden. Sauer war ein
bemerkenswerter älterer Mann – die wahre
Verkörperung eines Grandseigneurs –, der Lioba alle
fünf oder sechs Monate einen Besuch abstattete, charmant mit
ihr plauderte und nie aus dem Haus ging, ohne gleich mehrere
Bücher gekauft zu haben. Er feilschte nie um den Preis
– allerdings setzte Lioba die Preise für ihn von
vornherein etwas niedriger an, obwohl er unermesslich reich war.
Sie mochte ihn – im Gegensatz zu Doktor Klöten. Doch
gleichzeitig war er ihr ein wenig unheimlich, denn hinter seiner
Freundlichkeit glaubte Lioba bisweilen einen Abgrund der
Verzweiflung zu erahnen.
    Der Doktor wurde nervös. Lioba stellte befriedigt fest,
wie sich Schweißperlen auf seiner Stirn bildeten –
untrügliches Anzeichen für einen Anfall von
Bibliomanie. Er war verloren. Sie würde noch etwas mit dem
wirklich überzogenen Preis nach unten gehen, und er
würde das Buch kaufen. »Nein, tut mir Leid, im Preis
kann ich Ihnen nicht entgegenkommen.«
    »Aber Sie müssen! Ich habe nicht so viel
Geld!« Verzweiflung trat in den Blick des
erbarmungswürdigen Mannes.
    »Vielleicht nehmen Sie eine Hypothek auf Ihre Jacht auf,
oder Sie setzen einen Monat mit dem Golfspielen aus. Dann haben
Sie den Preis wieder eingespielt.«
    »Sie sind unbarmherzig, liebe Lioba.« Er klimperte
mit den Wimpern. Lioba musste sich beherrschen, um nicht laut
loszuprusten. »Ich bin mit meinen Alimentenzahlungen im
Rückstand. Ich kann nicht… Sagen wir
zweitausendfünfhundert.«
    »Keine Chance.« Lioba drückte den Zigarillo
wie eine Wanze im Aschenbecher aus. »Allerwenigstens
dreitausendachthundert.«
    Kurz darauf hatten sie sich auf dreitausendfünfhundert
geeinigt, fünfhundert Euro mehr, als Lioba erwartet hatte.
Normalerweise hatte sie feste Preise, aber sie kannte
schließlich ihre Stammkunden. Doktor Klöten war einer
der reichsten, und es war jedes Mal dasselbe Spiel. Sie
würde die zusätzlich verdienten fünfhundert Euro
wie immer den Borromäerinnen spenden, die das Krankenhaus
gegenüber ihrem Haus führten. Vielleicht bekamen sie
sogar den ganzen Betrag, falls es diesen Monat ansonsten für
Lioba zum Leben reichte.
    Eine Minute, nachdem Herr Doktor Klöten ihr einen Scheck
ausgestellt hatte, war er schon mit dem Buch in der Rocktasche
aus dem Haus geflohen. Er glaubte, einen großen Sieg
errungen zu haben. Also hatte Lioba mal wieder allen geholfen.
Sie grinste und machte eine Flasche Trittenheimer Altärchen,
Spätlese, auf. Dann ging sie nach oben ins Schlafzimmer,
stellte sich vor ihre heilige Elisabeth und prostete der
spätmittelalterlichen, wunderbar filigranen Holzfigur zu.
Sie nahm einen kräftigen Schluck aus der Flasche und
verkorkte diese wieder.
    Unten im Wohnzimmer, unter ihren käuflichen
Schätzen, glitten Liobas Gedanken ganz still und leise zu
den Ereignissen des vergangenen Tages. Es ärgerte sie, dass
Arved bei diesem abgedrehten Künstler so rasch aufgegeben
hatte. Sie hätte versucht, ihn weich zu klopfen. Und, bei
Gott, es wäre ihr gelungen! Jetzt war Arveds Suche an ihr
Ende gekommen. Was mochte er heute tun? Zu Hause sitzen und
Trübsal blasen? Sich ein neues Lebensziel suchen? Warum
beschäftige ich mich überhaupt mit ihm?, fragte sie
sich und nahm einen weiteren Schluck aus der Flasche. Warm
durchrieselte es sie. Soll er sich doch eine sinnvolle
Betätigung suchen. Wie ich. Ich hatte es auch nicht leicht,
ein neues Leben zu finden. Bloß nicht an damals denken.
Bloß nicht. Noch einen Schluck. Die Sonne in ihrem Bauch
löste die Schatten der Vergangenheit auf.
    Sie wollte Arved anrufen und hören, wie es ihm ging. Ihre
Hand schwebte über dem Telefon. Doch sie ging zurück
ins Wohnzimmer. Da kam ihr eine Idee. Warum machte sie nicht
selbst einen weiteren Versuch? Nach diesem gelungenen
Geschäft und dem Wein fühlte sie sich unverwundbar und
zu allem fähig. Sie würde diesem blutleeren Vampyr die
Adresse aus den Adern saugen, wenn es nötig war. Er
würde den Brief schon noch finden. Und dann

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