Das Schattenbuch
verwunderte, im Chaos herumirrende
Blicke bemerkt, denn er fügte rasch hinzu: »Hab alles
immer mit vollen Händen ausgegeben. Ein Künstler hat
kein Sparbuch und auch keine Pfandbriefe. Und dass diese
Bruchbude so verwahrlost aussieht, liegt am Vermieter. Er
lässt rein gar nichts machen, alles verkommt.« Er
kicherte. »Dafür zahl ich ihm aber auch keine Miete
mehr.«
»Und Sie haben den Auftrag angenommen«, lenkte
Lioba ihn wieder auf das ursprüngliche Thema.
»Ich gebe zu, dass die Versuchung groß war,
einfach das Geld einzustecken und nichts dafür zu tun, zumal
die Geschichten, die ich illustrieren sollte, grottenschlecht
waren«, meinte der Künstler.
Arved spürte, wie er auf diesen selbstgefälligen,
aufgeblasenen Nichtskönner immer wütender wurde. Die
Geschichten waren außergewöhnlich, überragend,
grandios – das einzig Schlechte an dem Buch waren die
Illustrationen. Beim ersten Ansehen hatte er sie zwar gar nicht
so übel gefunden, aber jetzt, da er den arroganten Urheber
kannte, waren sie für ihn – verglichen mit den
Geschichten – nur noch Dreck.
Lioba schien bemerkt zu haben, dass es in ihm kochte, denn sie
rückte über einen Stapel Blätter und Dosen hinweg
näher zu ihm und gab ihm einen kleinen Rippenstoß.
Hoffentlich hatte dieser Vampyr es nicht bemerkt. Arved kam sich
ertappt vor.
»Aber Sie haben die Illustrationen gemacht, wie wir uns
überzeugen konnten«, sagte Lioba und strich sich
über ihr wie immer leicht verknittertes Kleid. Es raschelte,
als habe sich in den Papierhaufen des Zimmers etwas bewegt.
Der Künstler drehte rasch den Kopf zur Seite, als
befürchte er, etwas könne ihn anspringen. Dann seufzte
er laut und sagte: »Ich habe nur in die Geschichten
hineingelesen, so miserabel waren sie. Dann habe ich einfach drei
Holzschnitte gemacht. Das Beste an dem Buch.«
»Wohin haben Sie die Bilder geschickt?«, fragte
Lioba. »Oder sind sie etwa abgeholt worden?«
»Da war eine Adresse in dem Brief, aber der Name lautete
nicht Carnacki, das weiß ich noch.« Vampyr strich
sich über den Bart; auch das verursachte ein raschelndes
Geräusch.
»Haben Sie den Brief noch?«, fragte Arved, der
allmählich nervös wurde. Ihm ging dieses schreckliche
Zimmer aufs Gemüt. Er wollte so schnell wie möglich
wieder nach draußen, aber nur mit Carnackis Adresse.
Vampyrs Gegenwart war ihm widerlich, und seine Höhle aus
Unrat und verwirrenden Gegenständen machte ihm Angst.
»Nein.«
Lioba ließ nicht locker; sie schien Gefallen an diesem
seltsamen Spiel gefunden zu haben. »Wirklich nicht?«,
fragte sie nach und lächelte den Künstler strahlend an,
der offenbar nicht ganz immun dagegen war.
»Na ja, vielleicht ist er im Archiv.« Er blieb
jedoch stur sitzen.
»Würden Sie mal nachschauen?«
Vampyr stieß unwillig die Luft aus, stand endlich auf
und tänzelte aus dem Raum. Man hörte ihn irgendwo
nebenan stöbern und fluchen.
»Es tut mir Leid, dass ich Sie in diese Sache
hineingezogen habe«, sagte Arved leise.
»Sie brauchen sich nicht zu entschuldigen«,
entgegnete Lioba schmunzelnd. »Ich bin freiwillig
mitgekommen. Wenn ich bedenke, dass ich sonst das hier nie zu
Gesicht bekommen hätte…« Sie machte eine weite
Geste durch das Zimmer. Mitten in der Bewegung brach sie ab. Sie
stieß mit ihren klobigen Schuhen einen Teller, eine
Küchenrolle und ein paar Bücher zur Seite und
bückte sich so schnell, wie ein Bussard auf seine Beute
niederstößt. Mit einem großen, leicht
stockfleckigen Blatt kam sie wieder hoch.
»Unglaublich«, murmelte sie. »Ein Blatt aus den Carceri von Piranesi. Was für Schätze mögen
hier sonst noch vor sich hingammeln?«
»Hübsch, nicht wahr?«, sagte die hohe Stimme.
»Ich wäre Ihnen aber sehr verbunden, wenn Sie es
wieder dorthin legen würden, wo Sie es gefunden
haben.«
Weder Arved noch Lioba hatten den Künstler
zurückkommen gehört. Lioba legte das Blatt wortlos
zurück. Arved versuchte das peinliche Schweigen zu
durchbrechen:
»Haben Sie den Brief gefunden?«
»Nein.«
Lioba setzte nach: »Und Sie können sich weder an
den Namen noch an die Adresse erinnern?«
»Stimmt.« Herr Vampyr verschränkte die Arme
vor der Brust. »Ich habe noch zu arbeiten. Kann ich
außerdem den Herrschaften mit irgendetwas
dienen?«
Arved geriet in Panik. Dieser aufgeblasene Hanswurst war die
einzige Spur zu Thomas Carnacki. Er war der Einzige, der Kontakt
mit dem Autor hatte.
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