Das Schattenbuch
Sollte hier alles schon zu Ende sein?
»Wissen Sie denn sonst noch etwas über den
Verfasser?«, fragte er verzweifelt.
»Ich habe den Eindruck, es geht Ihnen gar nicht um meine
Arbeit, sondern nur um diesen unfähigen Schreiberling,
diesen viertklassigen Schmierer, der mein Werk schon allein
dadurch beschmutzt hat, dass es mit dem seinen zwischen denselben
Buchdeckeln erschienen ist. Entweder Sie gehen jetzt freiwillig,
oder ich muss andere Saiten aufziehen.«
Arved überlegte kurz, ob er kämpfen sollte, doch in
der Haltung Vampyrs lag etwas Bedrohliches, das ihm den Mut nahm.
Er zupfte Lioba am Ärmel. »Künstler sind manchmal
etwas eigen«, meinte er. »Kommen Sie.« Zu
Vampyr gewandt sagte er: »Es tut mir Leid, dass wir Ihre
Zeit gestohlen haben. Wir entschuldigen uns dafür.« Er
spürte, wie Lioba sich versteifte, aber er zerrte sie mit
sich. Das Unbehagen vor dem Künstler und seiner Behausung
hatte bei ihm die Oberhand gewonnen.
Vampyr machte sich nicht einmal die Mühe, sie zur
Tür zu begleiten. Als sie auf der Schwelle standen,
über die der Schatten des Nachbarhauses fiel, war es Arved,
als husche etwas zusammen mit ihnen aus dem Haus.
Im Auto machte Lioba ihm Vorwürfe. »Wir hätten
unsere Informationen bekommen, wenn Sie nicht so ungeduldig
gewesen wären«, sagte sie, als sie Kornelimünster
hinter sich gelassen hatten.
»Das glaube ich nicht«, entgegnete Arved.
»Dieser seltsame Kerl wollte uns nichts sagen. Wir haben
ihn in seiner Ehre als Künstler gekränkt. Er hätte
uns niemals geholfen. Ich bin froh, dass wir heil aus dem Haus
gekommen sind.«
»Und was wollen Sie jetzt unternehmen?«, fragte
Lioba und schaute starr auf die Straße.
»Nichts mehr. Ich bin einer Chimäre
hinterhergelaufen. Damit muss ich mich abfinden.« Beim
Gedanken an Vampyr bekam er eine Gänsehaut. So hatte er sich
diese Jagd nicht vorgestellt.
»Geben Sie immer so schnell auf?«, fragte Lioba
mit einem Unterton der Enttäuschung in der Stimme.
Er sagte nichts darauf, sondern warf einen raschen Blick
über die Schulter. Er hatte den Eindruck gehabt, als
befände sich noch etwas mit ihnen im Wagen. Etwas, das ihnen
aus dem unangenehmen Haus gefolgt war. Doch da war nichts.
Als Arved den Blick wieder nach vorn richtete, glaubte er es
auf dem Rücksitz rascheln und wispern zu hören. Er
zwang sich, nicht noch einmal nach hinten zu sehen.
5. Kapitel
»Ich weiß nicht«, sagte der Mann mit dem
großen Goldring am Mittelfinger und ließ die Seiten
der Daemonolatreia nachlässig durch die Finger
gleiten. »Das ist sehr viel Geld für ein so kleines
Buch.« Unter seinen buschigen Brauen, die über der
Nasenwurzel zusammengewachsen waren, blitzte es. Er klappte das
Buch zu, legte es auf den Beistelltisch und sah Lioba Heiligmann
erwartend an.
»Sie wissen genau, Herr Doktor Klöten, dass Sie in
den nächsten Jahren kein Exemplar dieses Buches mehr zu
Gesicht bekommen werden. Der Remy ist derart selten geworden,
dass man fast jeden Preis dafür nehmen kann. Gemessen daran
sind meine geforderten viertausend Euro nicht zu viel verlangt.
Aber wenn Sie es nicht wollen, werde ich es Herrn Sauer
anbieten.« Lioba streckte die Hand aus, um die Daemonolatreia an sich zu nehmen, doch Herr Doktor
Klöten hatte das Buch schnell wie der Blitz an sich
gerissen.
»Nicht so hastig, Frau Antiquarin«, sagte er und
streichelte den Pergamenteinband wie ein
Schoßhündchen. »Sie kennen doch das Spiel. Sie
nennen einen Preis, und ich nenne einen Preis. Und in der Mitte
treffen wir uns.«
Lioba schüttelte den Kopf und blies dem Doktor den Rauch
ihres Zigarillos geradewegs in die Augen. Es fiel ihr zunehmend
schwer, sich zu beherrschen.
Herr Doktor Klöten ließ nicht locker. »1996
ist genau diese Ausgabe der Daemonolatreia, nämlich
die Kölner Edition von 1596, auf der Auktion von Reiss und
Sohn für 1300 Mark zugeschlagen worden.«
Lioba nahm einen weiteren tiefen Zug und lächelte ihren
Kunden an. »Das ist beinahe zehn Jahre her, und damals
hatten wir noch die gute alte Mark. Ihnen wird nicht verborgen
geblieben sein, dass durch die Einführung des Internet und
die Globalisierung auch des Handels mit alten Büchern vor
allem Okkulta einen gewaltigen Preissprung gemacht haben. Sehen
Sie sich nur an, was amerikanische Antiquariate im Bookfinder
für einen Delrio oder einen Bodin verlangen! Und den Remy
finden Sie dort nicht einmal. Aber wie ich schon
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