Das Schattenbuch
Kassettenrekorder
ein, der zwischen ihnen auf dem Tisch stand, schob Arved mit
einer knappen Bewegung das Mikrofon entgegen, verschränkte
die Arme auf dem Tisch und schaute sein Gegenüber
erwartungsvoll an.
Und Arved erzählte. Er erzählte die Geschichte so,
wie er sie auch Lioba erzählt hatte. Die Augen der beiden
Kommissare wurden immer größer. Als Arved fertig war,
sagte zunächst niemand etwas. Lioba fragte sich, wer wohl
hinter dem Spiegel ebenfalls zugehört hatte. Es war so
still, dass man sogar eine Stecknadel fallen gehört
hätte.
Dann fing der mit der hohen Stimme an zu lachen. Sein Kumpan
fiel ein. Sie lachten, bis sie rote Köpfe bekamen.
»Das ist die tollste Geschichte, die ich je gehört
habe«, sagte der Schwere schließlich und wandte sich
an Lioba. »Und wie erklären Sie sich, dass sich auch
Ihre Fingerabdrücke in Schults Wohnung finden?«
Lioba zuckte die Achseln. »Ich wollte meinen Ex-Mann
besuchen, habe die Tür, die nicht verschlossen war, weiter
aufgedrückt und Arved gesehen. Sonst habe ich nichts in der
Wohnung berührt. Meine Abdrücke können also
höchstens an der Tür sein. Stimmt’s?«
Der Schwere sah sie mit zusammengekniffenen Augen an. Lioba
bemerkte, dass ihm die Brauen über der Nasenwurzel
zusammengewachsen waren. Er brummte etwas, woraus Lioba entnahm,
dass sie Recht hatte. Sie lehnte sich zurück und sah den
Kommissar herausfordernd an. »Beweisen Sie uns den
Mord«, sagte sie keck. »Das können Sie nicht,
denn keiner von uns beiden ist es gewesen.«
Der mit der hohen Stimme meinte: »Und warum ist Ihre
Bluse ebenfalls blutverschmiert? Da stimmt doch etwas
nicht.«
»Das ist passiert, als wir uns auf dem Friedhof
geküsst haben.«
Die Reaktion der beiden Polizisten war sehr bemerkenswert. Der
mit der hohen Stimme verzog vor Abscheu den Mund, und der Schwere
sah belustigt von Lioba zu Arved und wieder zurück.
Beides reizte Lioba bis aufs Blut. »Sie können sich
wohl nicht vorstellen, dass man auch in unserem Alter noch lieben
kann, was? So, wie Sie wirken, haben Sie das schon vor langem
verlernt.«
»Passen Sie auf, was Sie sagen«, meinte der
Schwere und starrte auf Liobas Bluse. Sie hatte den Eindruck, er
ziehe sie mit seinen Blicken aus. Der mit der hohen Stimme
hingegen bekam einen hochroten Kopf. Der Schwere sagte, ohne den
Blick von Lioba abzuwenden: »Sie können jetzt gehen.
Es stimmt, Ihre Abdrücke sind nur an der Tür. Aber
Ihren Freund müssen wir leider hier behalten.«
»Haben Sie denn die Tatwaffe?«, fragte Lioba und
entspannte sich ein wenig.
»Die finden wir schon noch«, brummte der
Schwere.
»Arved Winter braucht einen Anwalt«, erklärte
Lioba. »Ich werde mich darum kümmern.«
»Tun Sie das«, meinte der andere. »Aber der
wird Winter auch nicht rauspauken können. Vierundzwanzig
Stunden lang haben wir das Recht, ihn hier zu behalten. Danach
wird er dem Haftrichter vorgeführt. Er wird auf Flucht- und
Verdunkelungsgefahr erkennen.«
»Das werden wir noch sehen«, sagte Lioba und stand
auf. Keiner der beiden hielt sie zurück. »Noch
Fragen?«
»Nein, aber halten Sie sich bereit. Sie werden von uns
hören. Verlassen Sie die Stadt nicht.«
Arved sah Lioba Hilfe suchend an. »Bitte kümmere
dich um meine Katzen«, sagte er nur und gab ihr seine
Schlüssel. »Die brauche ich hier wohl nicht.«
Sie drückte ihm die Hand und schenkte ihm ein aufmunterndes
Lächeln. »Du bist bald raus hier.«
»Darauf würde ich nicht wetten«, sagte der
Schwere und stand auf. Seine Blicke waren irritierend. Einerseits
schien er Lioba aus dem Raum prügeln zu wollen, andererseits
lag etwas Animalisches in ihnen. Als er Arved anschaute, lief es
Lioba kalt den Rücken herunter. Sie wollte Arved nicht mit
diesen beiden Männern allein lassen, aber im Gefängnis
konnte sie ihm nicht helfen; außerdem würde man sie in
getrennte Zellen stecken. Lioba ging mit festen Schritten zur
Tür und zog sie auf. Dabei glitt ihr Blick über den
Spiegel in der Wand.
Sie glaubte etwas darin zu sehen, was keine Widerspiegelung
des Zimmers war.
Es war eine weitere Person, eigentlich nur der Schatten einer
Person: ein älterer, unglaublich dürrer Mann mit grauen
Haaren und einer schwarzen Brille, wie Blinde sie tragen.
Valentin Maria Pyrmont alias Vampyr.
Im Glas, hinter dem Glas. Sie kniff die Augen zusammen, er war
verschwunden. Sie zog die Tür auf und verließ das
Verhörzimmer. Draußen auf dem
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