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Das Schattenbuch

Das Schattenbuch

Titel: Das Schattenbuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Siefener
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Erlebnisse kamen in ihr hoch,
Höllenbilder, deren Wirklichkeit sie in der letzten Zeit
erfolgreich infrage gestellt hatte.
    Arved fuhr fort: »Daher die Illustration des Spiegels.
Es passt durchaus, nur darf man es nicht eins zu eins
übersetzen.«
    »Und was bedeutet das deiner Meinung nach…
für uns?«, fragte Lioba. Ihr wurde trotz des
sommerlichen Sonnentages kalt. Sie zog den Kragen ihrer Bluse
enger zusammen. Schatten lagerten über der Bank. Schatten,
die in die falsche Richtung fielen. Die Sonne stand hinter ihnen,
aber die Platane vor ihnen warf ihren Schatten auf die Bank.
    »Ich weiß es nicht«, gestand Arved.
»Die beiden anderen Geschichten… wir müssen den
Autor jetzt dringender denn je finden, damit all das ein Ende
hat.«
    »Wir sollten die Finger von der Sache lassen. Wenn das,
was mit Manfred passiert ist, tatsächlich in Zusammenhang
mit dem Schattenbuch steht, dürfen wir auf keinen Fall noch
weiter nachforschen«, wandte Lioba ein.
    »Im Gegenteil. Nur Carnacki kann uns sagen, was das
Ganze zu bedeuten hat«, meinte Arved und sah sie flehend
an. Aller Irrsinn war nun aus seinem Blick verschwunden; er war
wieder der alte Arved. Es überkam sie das Verlangen, ihn zu
küssen, zu umarmen. Sie sah ihn an. Sie sah das verschmierte
Blut an. Und ihr Verlangen war sofort wie weggewischt.
    »Ich weiß nicht, was das Richtige ist«,
sagte sie leise. Dann erzählte sie ihm von Abraham Sauer und
seiner Theorie der Spiegelbücher. Arved hörte
aufmerksam und schweigend zu, bis sie zum Ende gekommen war,
nachdem sie zugegeben hatte, dass sie das Buch vernichten wollte,
dabei aber gescheitert war.
    Arved rieb sich die Augen, als könne er das, was er um
sich herum sah, nicht mehr glauben. »Die erste Geschichte
könnte auf dich anspielen. Die Okkulta-Liebhaberin…
aber die zweite Geschichte verstehe ich nicht.«
    »Gibt es in deinem Leben etwas, das du bereust?«,
fragte Lioba vorsichtig. »Etwas, wobei du Schuld auf dich
geladen hast?«
    »Jetzt klingst du wie eine Predigerin«, spottete
Arved. »Wer von euch ohne Sünde ist, der werfe den
ersten Stein. Was weiß ich? Bestimmt habe ich hier und da
etwas getan, was nicht gut war. Vielleicht meine
Gottesverleugnung von der Kanzel herab.«
    »Aber wie passt sie zu der zweiten Geschichte –
falls die erste tatsächlich auf mich zutrifft?«,
wollte Lioba wissen. »Da geht es um einen Mann zwischen
zwei Frauen.«
    Arved lachte auf. Es klang rau und falsch. »Sieh mich
doch an! Ja, ich hatte mal eine Freundin, damals, während
des Studiums. Ich habe meine Erfahrungen in der Liebe gemacht,
wenn auch nur sehr oberflächlich. Aber ich und zwei Frauen
– niemals. Das ist doch lächerlich. Wenn man die
Geschlechter umdreht, passt die Geschichte eher zu dir und Victor
und Manfred.«
    Lioba lief es kalt über den Rücken. Genau das hatte
sie beim Lesen dieser Geschichte auch gedacht. Sie hatte die
Parallelen gesehen. Aber sie hatte es nicht glauben wollen.
Außerdem schien die erste Geschichte wie auf sie
zugeschnitten: Die Sammlerin unheimlicher Bücher, die von
einem anderen Sammler geliebt wird – damit konnte Victor
gemeint sein –, bis dieser in den Tod geht. Aber sie hatte
Victors Liebe nicht verschmäht. Plötzlich stand er vor
ihr. Victor.
    Nicht vor ihren Augen.
    Sondern leibhaftig.
    Lioba riss den Mund auf. Kein Laut drang über ihre
Lippen. Arved schaute sie mit großen Augen an. Er schien
nicht das zu sehen, was sie sah.
    Vor ihr stand Victor, wo immer er auch hergekommen sein
mochte. Er sah aus wie damals: groß, schlaksig, dürr,
mit langen, schwarzen Haaren, die sich vorn zu lichten begannen
und in die sich graue Strähnen geflochten hatten, und die
unsagbar traurigen, flehenden Augen, die eine gewisse
Ähnlichkeit mit denen von Arved besaßen, sahen sie
eindringlich an. Er hielt die rechte Hand gegen sie gerichtet;
die langen, schmalgliedrigen Finger waren beinahe wie Schlangen,
die auf sie loszischelten. Am Ende eines jeden Fingers saß
ein weiteres Auge. Alle blickten sie an. Dann bemerkte sie den
Geruch des Wassers. Sie wollte hochspringen, aber Victor schoss
auf sie zu. Jetzt roch sie Blut. Victors Bild zerplatzte, und
unzählige Wassertropfen flogen in die Luft, als gäbe es
keine Schwerkraft. Als die Tropfen den verrückten
Schattenbereich der Platane verlassen hatten, glitzerten sie in
der Sonne auf wie Tausende fröhlicher Gedanken. Und vor ihr
hockte Arved. Er sah sie

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