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Das Schattenbuch

Das Schattenbuch

Titel: Das Schattenbuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Siefener
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Flur weinte sie.

 
19. Kapitel
     
     
    Lioba verließ den Raum, und Arved fühlte sich, als
gehe ein Stück seiner Seele mit ihr. Die beiden Kommissare
schienen das zu wissen und setzten ihm nun hart zu. Immer wenn
einer der beiden eine Frage gestellt hatte, setzte der andere mit
einer weiteren Frage nach, und sie legten ihm die Antworten in
den Mund. Es war deutlich, dass sie ihn bereits wegen Mordes
verurteilt hatten. Ihn allein; Lioba schienen sie zu glauben.
Immer wieder beteuerte er, er habe zwar die Leiche berührt,
aber Manfred Schult nicht umgebracht. Er unterließ es, die
Geschichte seiner Erlebnisse erneut zu erzählen oder auf
ihren Einzelheiten zu beharren, denn es war ihm nur zu klar, wie
unglaublich sie klang.
    Als sie wieder und wieder dieselben Fragen stellten, wurde es
Arved zu dumm. »Ich sage gar nichts mehr ohne einen
Anwalt«, bekundete er und schaute auf die gefesselten
Hände in seinem Schoß.
    Es fiel ihm schwer, ihre Unverschämtheiten über sich
ergehen zu lassen und nichts dazu zu sagen, aber er blieb hart.
Als sie endlich begriffen hatten, dass sie nichts weiter aus ihm
herausbekommen konnten, ließen sie ihn abführen.
    Nun wurde er in einer Grünen Minna gefahren, einem
umgebauten Bus mit winzig kleinen Fensterschlitzen. Noch zwei
andere Gefangene saßen im Wagen, aber sie sagten kein Wort,
sondern starrten nur auf den Boden. Der eine war ein
grobschlächtiger Mann mit einer Löwenmähne und
einer eingedrückten Nase, der andere sah aus wie ein
Buchhalter, der beim Denken eines ungesetzlichen Gedankens
erwischt worden war. Er kratzte sich unablässig am beinahe
kahlen Kopf, über den die wenigen verbliebenen
Haarsträhnen wie Rettungsseile geschlungen waren.
    Die Fahrt ging über die alte Römerbrücke nach
Süden am linken Moselufer entlang, bis die Straße
schließlich den Fluss verließ. Durch Trier West und
Euren ging es auf der Luxemburger Straße bis zu einem
Gewerbegebiet, an dessen Rand sich der mächtige Betonquader
der Justizvollzugsanstalt erhob, wie das Gefängnis im
Beamtendeutsch hieß. Die Grüne Minna hielt zuerst vor
einer Schranke und dann vor einem gestreiften Tor, das mit
aufreizender Langsamkeit zur Seite glitt. Währenddessen
betrachtete Arved den hohen Zaun, den Stacheldraht darüber
und die Kameras auf dem Dach. In der Ferne erhob sich ein
bewaldeter Hang. In unerreichbarer Ferne. Wann würde er
wieder seine geliebten Spaziergänge aufnehmen können?
Jemals wieder? Als der Bus durch das Tor fuhr und es sich hinter
ihnen wieder schloss, war Arved, als sei das Tor zu seinem
früheren Leben für immer zugefallen.
    Die Zelle war genauso, wie er es aus Fernsehfilmen kannte:
eine Pritsche, ein Tisch, ein Stuhl, eine Toilette und ein hohes,
vergittertes Fenster. Nachdem der Aufseher ihn eingeschlossen und
die Tür mit lauten, schrecklich endgültig klingenden
Geräuschen verriegelt hatte, setzte sich Arved auf das Bett,
stützte den Kopf in die Hände und sah sich in stiller
Verzweiflung um. Zwar hatte man ihm unten erklärt, dass die
Untersuchungsgefangenen ihre Kleidung behalten können, aber
die seine brauchte man wegen der Blutspuren, also trug er bereits
Gefängniskleidung. »Damit du dich dran gewöhnen
kannst«, hatte der mit der hohen Stimme gesagt, der vorn in
der Minna mitgefahren war und ihn bis zum Pförtner des
Gefängnisses begleitet hatte.
    Arved hatte nicht nach einem Anwalt verlangt, da er sicher
war, Lioba würde sich darum kümmern; er wollte ihr
nicht ins Handwerk pfuschen. Sie hatte versprochen, ihn hier
herauszuholen, und sie würde ihr Versprechen halten. Der
Gedanke an sie war so tröstend.
    Arved stand auf und durchmaß seine Zelle. Wenn er sich
auf die Zehenspitzen stellte, konnte er aus dem Fenster sehen. Er
sah jedoch nur einen tristen Innenhof, in dem sich die Gefangenen
ergehen durften. Er befand sich recht weit oben, im vierten oder
fünften Stock, und daher vermochte er wenigstens viel Himmel
zu sehen. Der Himmel war grau heute, grau wie die Anzüge der
Kommissare. Grau wie die Anzüge der Mörder. Er legte
sich auf die Pritsche.
    Wie mochte es seinen Katzen gehen? Lioba würde sich auch
darum kümmern. Sie waren so scheu geworden in der letzten
Zeit, hatten ihn gemieden, beinahe als wäre er nicht er
selbst. Genauso fühlte er sich. Das Schattenbuch war ein
Buch des Verhängnisses für ihn geworden und hatte ihn
in diese Zelle geführt. Von den

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