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Das Schattenbuch

Das Schattenbuch

Titel: Das Schattenbuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Siefener
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niedergeschmettert. Es ist mir gelungen, ihn wieder aufzubauen,
doch dann haben bald die okkulten Drohungen angefangen. Es war
die Zeit, als Victor mit einer Endzeit-Sekte
herumexperimentierte, von der ich ihn unbedingt fernhalten
wollte. Ich hatte geglaubt, die Briefe kämen aus diesem
Umfeld. Es ging bei der Sekte auch um schwarze Magie. Victor
hatte mich einmal mit dorthin genommen, und es war abscheulich.
Ich will dir keine Einzelheiten berichten, denn ich weiß
nicht, ob du mich dann noch liebst.« Sie wagte ein
Lächeln.
    Er schlang die Arme um sie und küsste sie. »Meine
Rippen!«, stöhnte sie und drückte ihn ein wenig
fort, aber seine Liebkosungen ließ sie gern geschehen.
    »Ich will keine Einzelheiten hören, aber auch das
würde meine Gefühle zu dir nicht verändern«,
sagte Arved.
    Hand in Hand gingen sie am Dombachhof vorbei und zur
Landstraße, die, von Wittlich kommend, nach Manderscheid
hineinführte.
    Um zu den Burgen zu gelangen, mussten sie den ganzen Ort
durchqueren. Sie gingen hinunter zum Ceresplatz, bogen nach
rechts in die Kurfürstenstraße ein, die
Hauptstraße des Ortes, folgten ihr bergab an den kleinen,
schmucken Häusern entlang, an dem einzigen Bauernhof
inmitten des Ortes, an der Post, dem Heimatmuseum, dem
Gemüseladen. Es waren nur wenige Leute auf der Straße.
Einige kannten Arved und grüßten ihn freundlich;
inzwischen war er längst nicht mehr fremd hier.
    Aber heute war alles anders. Arved kannte jeden einzelnen auf
der Straße.
    Jeder war Abraham Sauer.
    Abraham Sauer kam ihm in einem feinen grauen Anzug entgegen
und grüßte.
    Abraham Sauer kam ihm mit einem Kinderwagen entgegen und
grüßte.
    Abraham Sauer kaum ihm in einer Jeans und mit einer Säge
in der Hand entgegen und grüßte.
    Arved wusste, dass die erste Geschichte die seine war. Er war
der von Gespenstern Heimgesuchte. Er dachte an die Erscheinung,
die er früher schon gehabt hatte. Er zweifelte nicht mehr an
ihrer Identität. Nun hatte sie bloß ein anderes Gewand
übergezogen. Ein anderes Gespenstergewand.
    Arved grüßte jeden Abraham Sauer mit der gleichen
Freundlichkeit. Bestimmt waren es nur Bekannte von ihm, denen das
Gespenst sein Bild übergestülpt hatte. Hier glaubte er
Herrn Weiß zu erkennen, bei dem er seine
Immobilienversicherung abgeschlossen hatte, dort Frau Ramers, die
ihn in der Alten Remise bedient hatte, und hier kam Herr
Steffels; mit ihm und seiner Frau hatte er sich angefreundet und
die beiden oft in der Parallelstraße am Hohlen Weg besucht.
Doch über ihnen allen lag die Maske Abraham Sauers.
    Er hatte Liobas Hand nicht für eine Sekunde losgelassen;
er brauchte ihren Halt und den Druck ihrer Finger, um sich zu
vergewissern, dass noch etwas Reales in all diesen
Unwirklichkeiten existierte. Sicherlich gaben sie ein seltsames
Bild ab: Lioba war noch immer blutverschmiert, und Arved…
er wusste nicht einmal, wie er aussah. Aber niemand stellte ihnen
Fragen; alle taten so, als sei alles in Ordnung. Arved war
dankbar dafür.
    An der Bäckerei vorbei liefen sie auf den Friedhof zu,
der den Ort am südlichen Ende begrenzte, bogen kurz vor ihm
in die Burgstraße ein, kamen an den Wanderparkplatz mit der
großen hölzernen Übersichtstafel – und
erstarrten.
    Auf dem Parkplatz stand der alte russische Armeelaster.
    Leichter Rauch stieg noch immer von ihm auf, als schwitze er
und kühle sich erst langsam ab. Arved verkrallte seine
Finger in Liobas Hand. »Was jetzt?«, raunte er.
    Lioba kniff die Augen zusammen und beobachtete den LKW einige
Minuten lang, ohne sich zu rühren. Dann machte sie sich von
Arved los und ging auf die dampfende Maschine zu.
    »Nein!«, rief Arved und wusste nicht, ob er ihr
folgen sollte. Als er sie mit leichten Schritten fortgehen sah,
überwand er seine Angst. Er lief hinter ihr her, umfasste
sie, drückte sie während des Gehens eng an sich. Als
sie vor dem großen Wagen standen, reckten sie die
Hälse. Es hatte den Anschein, als sei die Fahrerkabine
leer.
    Lioba wagte es, auf das Trittbrett des altmodischen,
riesenhaften LKW zu steigen und durch die Scheibe zu spähen.
Als sie wieder auf dem Boden stand, sagte sie mit einem Ton der
Enttäuschung in der Stimme: »Nichts
Außergewöhnliches. Das Fahrerhaus ist leer. Vollkommen
leer. Kein persönlicher Gegenstand liegt darin.«
    »Ob sie uns erwarten?«, fragte Arved.
    »Das werden wir sehen.«
    Sie gingen über den schmalen Pfad, der am Ortsrand

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