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Das Schatzbuch der Köchin (German Edition)

Das Schatzbuch der Köchin (German Edition)

Titel: Das Schatzbuch der Köchin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martine Bailey
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weit fortgeschritten, wie es manchmal in England nicht mal zu Mittsommer der Fall war.
    «Was für ein schöner Ort.»
    Er lächelte schüchtern jenes halb spöttische Lächeln, das ich schon kannte und mochte. «Ich komme her, so oft ich kann. Sammle, lausche dem Lied der Vögel. Ich bin ein Mann der Natur. Ihr habt Monsieur Rousseau gelesen?»
    «Ein wenig.» Meine Herrin besaß eine Ausgabe von
Julie
, in der ich geblättert hatte. «Er sagt, wir müssen von Beeren und Nüssen leben. Keine gute Voraussetzung für einen Koch», neckte ich ihn. Wir lächelten uns an.
    «Monsieur Rousseau sagt, es sei an der Zeit, dass der moderne Mensch mit den alten Traditionen bricht. Und das in jeder Hinsicht – wieso soll das also nicht für die Kochkunst gelten? Er sagt, dass das Leben uns erst darin unterweist, richtig zu leben. Es ist eine Reise, eine Entdeckungsfahrt. Und ich glaube, alles kann sich ändern. Das sind aufregende Zeiten, denn die alten Regeln können sich allein deshalb ändern, weil wir uns ändern.»
    Ich dachte über seine Worte nach, während wir Ugo durch das flirrende Grün des Unterholzes folgten. Der Hund schnüffelte begeistert und jaulte den Boden an, bis Signor Renzo zu ihm aufschloss.
    «Eine Schönheit», sagte er und zog eine Knolle aus der Erde, die einer schrumpeligen Kartoffel glich. «Seht nur, die Farbe ist gut. Und der Geruch!» Er hielt sich den Trüffel unter die Nase, dann hielt er ihn mir hin. «Mögt Ihr das? Riecht mal. Wie Knoblauch, Pilze und Honig. Ja? Ihr erlaubt mir, das für Euch zu kochen?»
    «Hier?»
    «Ihr werdet schon sehen.»
    Als wir weitergingen, dachte ich über seine Bemerkung nach, dass sich alles veränderte. Beschrieb er damit nicht auch mein Leben? Seit ich in Carinnas Rolle geschlüpft war, hatte ich meinen Verstand bis an seine Grenzen anstrengen müssen. Ich war mit Worten angeredet worden, die ich früher kaum verstanden hätte, aber jetzt kam meine Antwort so schlagfertig wie bei jeder hochwohlgeborenen Frau. Und die Kleider, die mir anfangs wie ein schreckliches Ärgernis erschienen – formten sie meine Figur jetzt nicht sehr vorteilhaft? War ich nicht eine Lady, die sich Respekt und Aufmerksamkeit verdiente? Die Speisen, die neuen Eindrücke, der Luxus – sogar dieser Spaziergang im Wald mit Signor Renzo veränderte mich. Wie Hefe, die den Brotteig aufgehen ließ. Wie konnte ich je wieder zurück und die einfache Pfannenwerferin Biddy werden? Das Leben bildete auch mich.
    «Was wollt Ihr denn sein? Ein Mann der Natur oder ein Koch?»
    Er richtete sich auf. In der Hand hielt er nun einen fleischigen, bernsteinfarbenen Pilz und schob sich ein Scheibchen in den Mund. Brummend ließ er sich den Geschmack auf der Zunge zergehen.
    «Ich bin gierig, Lady Carinna. Ich will beides sein. Ich will alles, was ich kriegen kann.» Seine Miene war nicht länger humorvoll. Er schob einen Schnitz zwischen meine Lippen, und ich öffnete sie gehorsam. Der Pilz schmeckte üppig und fast süß. Aber es war der Umstand, von ihm gefüttert zu werden und seine Finger auf meinen Lippen zu spüren, der mich richtig durcheinanderbrachte. Ich konnte kaum schlucken und musste mich von ihm losreißen und vorangehen.
    Du musst stark sein, Biddy, schalt ich mich. Gefährliche Gedanken hatten sich in meine Tagträume geschlichen. Tag und Nacht ging das so, schon die ganze Woche. Und jetzt, als ich neben dem Mann herging und seinen Blick spürte, konnte ich mir nicht länger einreden, dass ich mir die Gefahr nur einbildete. Jem war wie eine Pusteblume im Wind, und Kitt Tyrone einfach nur ein hübscher Junge. Neben ihnen wies Signor Renzo die Anziehung eines nachdenklichen Mannes auf, der zudem mit wunderbaren Talenten gesegnet war. Spiel deine Rolle, drängte ich mich, denn Lady Carinna hätte in tausend Jahren kein Verlangen nach diesem Mann entwickelt.
    Während wir weitergingen, wollte ich ihm am liebsten sagen: «Das will ich auch.»
    «Jetzt müssen wir aber kochen», sagte er, als wir einen Weg erreichten, der sich zur Hügelkuppe hochschlängelte. Erwartungsvoll folgte ich ihm zwischen den Bäumen den Hügel hinauf.
     
    Signor Renzos Hütte stand auf einer grasbewachsenen Erhebung in der Nähe der Hügelkuppe. Es war ein bescheidenes Häuschen, kaum mehr als eine Steinhütte, vor der sich eine Wand aus Rebstöcken erhob. Mein Essen wurde neben dem Tisch über dem offenen Feuer gekocht. Kein Bankett, sondern etwas, das der Koch ein
pique-nique
nannte – eine Mahlzeit, die

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