Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Schatzbuch der Köchin (German Edition)

Das Schatzbuch der Köchin (German Edition)

Titel: Das Schatzbuch der Köchin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martine Bailey
Vom Netzwerk:
Luft war schwer von einem schrecklichen, vertrauten Geruch. Ambra. Der süße, intensive Duft war wie eine Horde Geister, die ihm in die Nase stiegen. Er bedeckte die Nase mit seiner Handfläche und schaute sich überall um. Nur das ersterbende Feuer spendete etwas Licht. Der Brotkorb war umgedreht, und ein gemustertes Tuch lag auf dem Boden. Er hob es auf und schnupperte daran. Entfernt erinnerte der Duft an Menschen.
    Schritt für Schritt bewegte er sich durch die Räume und lauschte. Unten war alles leer; also wollte er nach oben gehen. In dem Moment spürte er unter dem linken Fuß etwas Feuchtes. Er ging in die Hocke und fuhr mit den Fingern durch das Nass. Im Mondlicht sah es schwarz wie Teer aus. Er schob den Finger in den Mund. Der metallische Geschmack war ihm vertraut – Blut. Ohne einen Laut richtete er sich auf, kraftvoll und geschmeidig wie ein Bambusrohr. Er lauschte lange und versuchte, jeden Atemzug und jede Bewegung im Haus aufzuspüren.
    Es war still – zu still für ein Haus voller Schläfer. Wo war Mr. Pars’ ratterndes Schnarchen? Oder Bengos Winseln und Wimmern? Vorsichtig tastete er sich auf der Treppe voran. Als er den oberen Absatz erreichte, schlich er zu Biddys Kammer. Die Tür stand offen, im Bett schlief niemand. Anschließend suchte er Mr. Pars’ muffige Kammer auf. Seine Tür stand ebenfalls offen. Die Fensterläden waren zurückgeschlagen, und
Mutter Fula
zeigte ihm, dass auch dieser Raum leer war. Fort waren Mr. Pars’ wacklige Papierstapel, seine verschmutzte Kleidung, seine Tintenfässer. Nur ein Reisekoffer und die wertvolle Schatulle standen in der Mitte des Raumes. Loveday fragte sich, warum Mr. Pars das Haus wohl so zurückgelassen hatte. Überraschende Neuigkeiten? Doch von wem stammte das Blut? Und was war aus seiner Herrin geworden? Sie hätte das Bett so kurz vor der Geburt sicher nicht verlassen.
    Er horchte angestrengt vor der Tür seiner Herrin, hörte aber nichts. Dann drehte er vorsichtig den Knauf und öffnete die Tür. Zuerst dachte er, das Gemach sei ebenfalls leer. Die Fensterläden waren geöffnet, und Mondlicht fiel auf die Stühle, den Tisch, das Bett. Das Bett … Das Herz in seiner Brust machte einen Satz. Sie ruhte schlafend auf dem Bett. Er beugte sich vor und erkannte ihr Profil. Seine Herrin lag reglos auf dem Rücken, und bis zu ihren Brüsten war ein Laken hochgezogen worden. Unter seinen Zehen knarrte eine Diele, und er verzog das Gesicht. Seine Herrin rührte sich nicht. Dann bemerkte er den Blutgeruch – tiefrotes Blut, das stank wie die Abfälle beim Schlachter. Er schaute in ihr Gesicht und zuckte furchtsam zurück. Die Augen seiner Herrin standen weit offen und starrten ihn direkt an. Er berührte ihren Arm, der so kalt war wie Stein.
    Er musste wissen, ob das Baby schon geboren war, denn der Geruch nach Frauenblut war stark. Er wappnete sich, dann packte er das Laken, das ihren Leichnam bedeckte, und hob es an. Selbst im fahlen Licht des Mondes konnte er den teerschwarzen Riss sehen, der quer über den weißen Bauch seiner Herrin verlief. Eine Öffnung, wo keine Frau offen sein sollte. Das Baby war fort, das sah er gleich. Der Bauch war eingesunken und nicht mehr prall wie eine gespannte Trommel.
    Der Geist seiner Herrin musste noch in der Nähe sein, aber was war mit dem Baby? Lebte es, oder war es tot? Er durchquerte den Raum und beugte sich über die Wiege, die Biddy aus einer Holzkiste gebaut hatte. Darin lag ein Haufen feuchter Lappen, doch keiner war blutig. Er hob einen an die Nase. Daran haftete noch der stechende Geruch nach Urin.
    Er kehrte in Biddys Zimmer zurück und drückte die Hand auf ihre Matratze. Das Bett war kalt. Die offenen Fensterläden lockten ihn, sich hinter der Villa weiter umzusehen. Es blieb nicht mehr viel Zeit, vermutete er. Das Baby starb bald. Weil er nicht wusste, was er tun sollte, blieb er am offenen Fenster stehen und atmete ganz ruhig. Er versuchte, seinem
manger
zu folgen, versuchte, die Fäden des Wissens zu verweben, wie seine Mutter es ihn gelehrt hatte. Er hörte Tiere in den Bäumen lärmen, sie zwitscherten zur Warnung. Dann der erstickte Schrei eines unglückseligen Beutetiers. Und dahinter hörte er das Summen und Zirpen von Insekten, die in ihren kleinen Städten in den Baumstümpfen und den palastartigen Höhlen unter der Erde hausten. Und noch leiser hörte er den Fluss neben seiner Hütte, das Wirbeln und Rauschen, wenn das Wasser über die Felsen floss. Und dann vernahm er es. Sehr

Weitere Kostenlose Bücher