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Das Schicksal der Zwerge

Das Schicksal der Zwerge

Titel: Das Schicksal der Zwerge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Heitz
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Vraccas wird sicher mit uns sein.«
Ingrimmsch versuchte, Tungdils Gesicht zu beobachten, als die Zwergin auf sie zukam und die Hand ausstreckte. Sie war über viele Zyklen hinweg seine Gefährtin gewesen, sie hatten gemeinsam gelebt und einen Sohn bekommen, der bei einem furchtbaren Unfall ums Leben gekommen war. Das Wiedersehen barg genügend Anlass in sich, um einen Funkenreigen aus Gefühlen tanzen zu lassen. Doch so sehr er sich anstrengte, er las keine Regung auf Tungdils Zügen.
Dafür arbeitete es in Balyndis Gesicht umso mehr. »Bei Vraccas!«, sagte sie ergriffen und wurde langsamer, während sie sich dem Einäugigen näherte. »Es ist wahr! Es ist wirklich wahr! Du lebst und bist aus der Dunkelheit zurückgekehrt!« Tränen schimmerten in ihren Augenwinkeln und rannen über die flaumbedeckten Wangen. Die Härchen waren deutlicher zu sehen als beiden Jüngeren ihres Volkes. Sie blieb gerührt vor ihm stehen, die Hand noch immer ausgestreckt.
»In der Tat. Ich bin aus der Dunkelheit zurückgekehrt. Doch ich habe Finsternis mitgebracht«, gab er zurück. »Ich weiß, wer du bist, Balyndis Eisenfinger, Königin der Fünften, aber ich erinnere mich an nichts von dem, was uns einst verband.« Entschuldigend deutete er auf die Narbe über der Stirn. »Ein Schlag löschte viel zu viel von dem aus, was mir lieb und teuer war.«
Balyndis schluckte und sah ihn eindringlich an, als könnte sie damit etwas bewirken und die verschütteten Erinnerungen freilegen. Als sie jedoch bemerkte, dass sich der Ausdruck in seinem braunen Auge nicht änderte, senkte sie den Arm und ließ sich vor ihm auf ein Knie hinab. »Ich grüße dich, Großkönig Tungdil Goldhand«, sprach sie traurig und beugte das Haupt. »Vraccas segne dich und alle, welche dir bei deiner Unternehmung zur Rettung des Geborgenen Landes folgen werden.«
»Ich danke dir, Königin Balyndis.« Er bedeutete ihr mit einer Berührung an der Schulter, sich erheben zu dürfen, und ging auf den gedeckten Tisch zu. Zahlreiche Köstlichkeiten türmten sich in den Schalen und Schüsseln, und der Geruch weckte bei Ingrimmsch den vor Spannung fast vergessenen Hunger.
»Das wurde Zeit«, meinte Slin leise an seiner Seite. »Ich war fast so weit, den Stahl abzulecken, nur um das Knurren in meinem Magen zum Schweigen zu bringen.« Sie ließen sich um den Tisch nieder. Zwerge bedienten sie und sorgten dafür, dass weder die Teller noch die Krüge jemals leer wurden. Während des Mahls legte Tungdil nochmals dar, wie er sich sein Unterfangen vorgestellt hatte. Balyndis enthielt sich einer Erwiderung und beließ es bei gelegentlichem Nicken.
Ingrimmsch hatte den Eindruck, dass sie immer noch versuchte, Tungdils verborgene Gefühle zu erforschen. Ich bin neugierig, ob sie ebenso daran scheitert wie ich.
    »Genug von mir«, sagte sein Freund irgendwann. »Das Fieber, das ausgebrochen ist: Seit wann kämpfen du und die Fünften schon dagegen an?«
»Seit etwa einhundertzehn Zyklen. Es begann schleichend, sodass es zunächst keinem unserer Heiler auffiel«, erklärte sie und prostete ihnen mit einem Humpen Schwarzbier zu. »Aber bald häuften sich die Krankheitsfälle, und wir erinnerten uns an die Heimsuchung der ursprünglichen Fünften. Wir haben Stollen und Höhlen räumen lassen, danach haben wir sie versiegelt. Möchtest du auf der Karte sehen, welche Bereiche betroffen sind?«
»Geschehen die Ausbrüche denn willkürlich, oder gibt es ein Muster?« Tungdil hatte sein Essen fast nicht angerührt, und wenn sich Ingrimmsch nicht sehr irrte, wirkte er blasser als gewöhnlich. Er ließ sich die Karte zeigen, schaute und verglich. Es sah sehr gezielt aus, was er tat.
»Keines, das wir uns erklären könnten«, antwortete Balyndis. »Wir haben die Orte, an denen es die meisten Toten gab, sogar von Freiwilligen durchsuchen lassen, ob uns vielleicht ein paar Albae mit ihren Fertigkeiten von dort aus zusetzen, aber wir haben keine Spuren gefunden. Dafür erkrankten die Freiwilligen der Expedition innerhalb von wenigen Umläufen und starben.«
»Wie?«, fragte der Einäugige nach.
»Sie erstickten an ihrem eigenen Blut. Sie schwitzten, und die Lungen liefen voller Blut, bis sie keine Luft mehr bekamen.« Sie schauderte. »Ein grauenvoller Tod, Tungdil.« Er schob die Karten von sich und leerte seinen Humpen. Der siebte, wenn Ingrimmsch sich nicht verzählt hatte. Das war für einen Zwerg, der kaum etwas Richtiges gegessen hatte und immer noch nüchtern wirkte, eine stattliche Leistung.

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