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Das Schicksal der Zwerge

Das Schicksal der Zwerge

Titel: Das Schicksal der Zwerge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Heitz
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Sie blickte wieder zu ihrem Helden, dem Unerreichbaren, der vor sich hin schmunzelte. Er gönnte sich keinen lauten, ausgekosteten Sieg, und das machte ihn für Coira noch anziehender. Verwundert stellte sie fest, dass ihr Herz schneller pochte, je länger sie ihn betrachtete.
    Faules Gemüse und Schneebälle flogen von allen Seiten auf Rodario den Siebten zu, der den Regen ebenso über sich ergehen ließ wie den gebrüllten Spott und Hohn. Der Unerreichbare trat unerwartet nach vorne und hob die Arme. »Aufhören!«, herrschte er die Meute an. »Das hat er nicht verdient. Er mag kein Wortakrobat und kein Schönling sein, doch er ist ein Nachfahre desselben Mannes, dessen Lenden ich entstamme.«
    »Bist du dir ganz sicher?«, grölte eine Frau.
    Der Unerreichbare hatte sie sofort entdeckt und deutete mit dem rechten Zeigefinger auf sie. »Wer bist du, dass du ihn verhöhnen darfst?«, herrschte er sie an und wirkte ganz und gar nicht mehr freundlich. »Du kannst nicht einmal schreiben und lesen, oder?«
    »Es reicht mir, wenn ich diesen Hanswurst höre und sehe«, gab sie zurück und erntete die nächsten Lacher.
    Rodario sah zu seinem Fürsprecher, der zu einer geharnischten Antwort ansetzte. »Lasst es gut sein«, sagte er niedergeschlagen und lächelte traurig. »Sie hat ja recht.« Er klaubte sich die fauligen Salatblätter von den Schultern und warf sie auf den Boden, schüttelte sich das Haar aus; Eisklümpchen rieselten herab. »Ich bin schlecht wie eh und je.«
    »Zeige Haltung, Spross des Unglaublichen!«, sagte der Unerreichbare und richtete sich auf. In einer dramatischen Geste wirbelte er um die Achse, damit sein von der Taille abwärts weit geschnittener Mantel möglichst schwang und dabei fielen ihm mehrere Papiere zu Boden.
    Die meisten blieben auf der Bühne liegen, zwei jedoch wurdenvon einer Böe erfasst und davongetragen, ehe er sie zu fassen bekam.
    Dieselbe Böe trug eines der Blätter über die Köpfe der rufenden Menschen und die haschenden Finger hinweg bis zur Tribüne, genau in die Hände von Coira. Allein die erste Zeile in geschwungener Schrift genügte der jungen Frau, um zu begreifen, dass ihre Wünsche in Erfüllung gegangen waren. Sie begann mit »Bürger von Mifurdania, bietet Eure Stirn dem Bösen, das aus den Bergen kommt!« Ein gepanzerter Handschuh grabschte nach dem Papier, der Lohasbrander hatte es an sich gerissen. »Lies vor«, sagte er zu seinem Kumpanen und reichte es weiter. »Ich will wissen, was der Unerreichbare noch an Reden vorbereitet hat.«
    Coira sah zu Loytan, der sofort verstand, dass auf dem Blatt nichts Harmloses geschrieben stand.
    Allem Anschein nach vermochte auch der zweite Lohasbrander nichts zu entziffern. »Darf ich Euch behilflich sein?«, bot sich Coira geistesgegenwärtig an. Der Anführer der Lohasbrander sah zu seinem Begleiter, nahm ihm die Schrift wieder ab und gab sie der jungen Frau zurück. »Ich höre.«
    Coira tat so, als lese sie vor und ersann dabei eine belanglose knappe Rede, die nicht so gut war, dass der Lohasbrander darauf drängte, sie aus dem Mund des Unerreichbaren zu vernehmen.
    Kaum schloss sie die Lippen, drehte er sich auch schon wieder zum Podest. »Schwach«, meinte er abfällig. »Nicht besser als La... diese andere Frau von vorhin. Schlechter Wettbewerb.«
    Coira sah zum Unerreichbaren, hob das Blatt und faltete es zusammen. Er verneigte sich tief vor ihr. Was genau sie getan hatte, konnte er nicht wissen, doch da die Gerüsteten nicht auf die Bühne gesprungen waren, um ihn zu köpfen, durfte er annehmen, dass sie für ihn gelogen hatte.
    »Werte Spectatores, dieses war der erste Streich«, meldete sich der Ausrufer lautstark. »Eure Abstimmung mit Schneebällen und Gemüse hat ergeben, dass Rodario der Siebte nicht an den weiteren Wettbewerben teilnehmen wird und ehrenvoll ausgeschieden ist. Ein Glück für Ladenia, die Meisterin des Unwitzes.« Wieder lachten die Menschen. Der Weißgekleidete sprang von seinemPodest und eilte mit riesigen Schritten auf ihn zu, nahm eine vertrocknete Blume unter seinem Mantel hervor. »Bitte sehr: das Stinkröschen für Euch, werter Ausgeschiedener.«
    »Dann hat er ja einen ganzen Strauß zu Hause!«, krakeelte ein Mann. »Die kann er sich in seinen ...«
    »Bist du der Ausrufer oder ich, Schreihals? Genug jetzt!«, würgte ihn der Mann ab und schwang den Rohrstock. »Morgen beginnen die Vorführungen im Neuen Curiosum, und die Eintrittskarten können wie stets an den Buden auf dem Platz

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