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Das Schicksal der Zwerge

Das Schicksal der Zwerge

Titel: Das Schicksal der Zwerge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Heitz
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seine Finger. Ich habe damit die Barriere berührt, und sie hat sich für mich geöffnet«, sagte sie abwesend. »Warum hätte es der Schirm sonst tun sollen?« Dann stieß sie einen langen, schrillen Schrei aus. »Das Böse ist ein Teil von mir!«Mit ungeahnter Kraft riss sie sich von ihrer Mutter los, zog einem verdutzten Torwächter das Beil aus dem Gürtel und schlug sich die nachgewachsenen Finger ab, bevor Goda ihr in den Arm fallen konnte. »Das ist besser!«, jubelte sie und trampelte auf den Gliedmaßen herum, während das Blut aus den Stümpfen sprudelte. »Vraccas, gib ihr den Verstand zurück!«, rief Goda entsetzt und hielt sie fest, die Torwachen halfen ihr dabei. Sie banden die Hand ab, damit Sanda nicht am Blutverlust starb und trugen die ohnmächtig gewordene Zwergin in ihre Kammer. Dort kümmerte sich die Mutter um sie, entkleidete und wusch sie.
Sandas Leib wies viele Folterspuren auf, die Goda Tränen des Zorns und des Hasses weinen ließen. »Dafür stirbt er mir einen ganzen Zyklus lang«, versprach sie ihrer Tochter. »Was er anderen gibt, wird er selbst zu kosten bekommen.« Sie trocknete die Arme der Schlafenden ab und zögerte. Das Mal, das Sanda an der Innenseite des linken Oberarmes trug, war ihr niemals aufgefallen. Es war nagelgroß, rötlich und nicht das Resultat von Folter. Es sah gewachsen aus.
Unwillkürlich richtete Goda sich auf und betrachtete die Zwergin vor sich mit anderen Augen. Erste Zweifel, dass es ihre Tochter war, stiegen in ihr auf: Hatte der Feind ihnen ein Abbild gesandt, so wie er es mit Tungdil gehalten hatte?
»Vraccas, nimm mir meinen Argwohn«, bat sie verzweifelt. »Dieses Mal hatte sie schon immer, und ich bitte dich, gib mir die Erinnerung daran zurück.« Sie legte die Hände in den Schoß, das Handtuch zwischen den Fingern haltend, und ließ den Blick über ihre Tochter schweifen. Plötzlich entdeckte sie weitere Unstimmigkeiten: War das Kinn schon immer so rundlich gewesen? Waren die Wangenknochen nicht höher gewesen? Und die Nase, was war mit der Nase? Sogar der Schwung der Augenbrauen kam Goda falsch vor.
»Nein«, klagte sie. »Nein, das ist meine Tochter! Sie ist es.« Goda trocknete Sandas Schultern ab und deckte ein Laken über sie. »Sie ist es! Ich werde nicht auf die List des Feindes hereinfallen. Er schürt meinen Argwohn und sät Zwist.« Sie atmete tief ein. »Sie ist es.« Ein letzter Blick nach den Verbänden, und sie stand auf, um zu den Wachen zu gehen und sich erzählen zu lassen, was sich in der Ebene um die Schwarze Schlucht getan hatte.
Der Abschiedskuss auf die Stirn ihrer Tochter kostete sie Überwindung.
    Das Geborgene Land, das einstige Königinnenreich Sangrem, Südwesten, 6492. Sonnenzyklus, Frühling.
    Ingrimmsch erwachte und schlug die Augen auf. Über ihm leuchteten die Sterne, er hörte leises Schnarchen um sich herum und das Knirschen von Sand. Es rührte von Slins Stiefeln, der Vierte hatte Wache. Die beiden Zhadär, die ihn dabei unterstützten, verursachten keine Geräusche, wenn sie sich bewegten. Ansonsten war es in ihrem Lager ruhig.
Warum bin wach geworden? Ingrimmsch wunderte sich über sich selbst. Während er nachdachte, glaubte er, dass die Gestirne heller und heller wurden. Sonnengleich strahlten sie auf ihn herab, ohne zu wärmen. Was ist denn ... ? Er richtete sich auf. Es schien Tag geworden zu sein.
Die Umgebung lag klar und deutlich vor ihm, er sah sogar Slin, der neben einem Felsen stand und Zwergenwasser abschlug; dabei malte er seinen Namen in den Sand. Mit kurzen Namen ging das sehr gut, mit Ingrimmsch verhielt es sich bereits etwas umständlicher, vom kompletten Namen ganz zu schweigen. Dafür musste man viel trinken.
Er rieb sich die Augen, doch es war noch immer hell, obwohl die Sonne nicht aus ihrem Bett gestiegen war. Als er seine Finger betrachtete, sah er schwarze Flüssigkeit an den Zeigefingern! Sie stammte aus seinen Augen?
Angst stieg in ihm auf. Was geht hier vor? Sind wir an einem verfluchten Ort? Er erhob sich, und Slin blickte sofort in seine Richtung. Ingrimmsch grüßte ihn mit einer Handbewegung und ging auf ihn zu, um ihn nach besonderen Beobachtungen zu fragen.
Er sah den Vierten deutlich vor sich, er sah jede Welle im weichen Boden unter sich, und er hörte die feinsten Geräusche, ja sogar das Rieseln des Sandes, den ein schwacher Wind umherwehte. Dabei wusste Ingrimmsch sehr genau, dass sein Gehör nicht das beste war. Der Lärm zahlreicher Schlachten hatte Tribut verlangt, hohe

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