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Das Schicksal der Zwerge

Das Schicksal der Zwerge

Titel: Das Schicksal der Zwerge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Heitz
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schwöre, dass ich es nicht missbrauchen oder enttäuschen werde. Bei dem, was wir früher gemeinsam erlebt haben!«
    Boindil schlug nach kurzem Zögern ein. Er nahm an, dass es das Beste war, was er für seinen zurückgekehrten Kampfgefährten tun konnte. Mit der Sicherheit, wenigstens einen Zwerg an seiner Seite zu haben, dem er vertrauen durfte, würde er sich rascher einleben und hoffentlich wieder zum alten Tungdil werden. Was ist dir geschehen? »Bei dem, was wir gemeinsam erlebt haben«, wiederholte er die Formel. »Ach, ich bin sicher, dass Boendal sich freuen würde, dich zu sehen.«
    »Boendal?«
    »Mein Zwillingsbruder!«, kam es überrascht aus Ingrimmschs Mund. Erst Balyndis, jetzt Boendal.
    Tungdil schlug sich gegen die Stirn. »Tut mir leid, mein Gedächtnis ist noch immer von Dunkelheit umgeben.« Er stand auf, hob die Humpen, die den Flug unbeschadet überstanden hatten, und füllte sie mit Schwarzbier. Einen reichte er Boindil, den anderen behielt er in der Faust. »Wann sehe ich ihn?«
    »Wen?«, fragte Boindil verwirrt.
    »Boendal«, antwortete er freudig. »Jetzt, da du ihn erwähnt hast, ist mir sein Gesicht wieder eingefallen.«
    »Tungdil, mein Bruder ist schon lange tot.« Ingrimmschs Lippen wurden zu einem dünnen Strich. Welches Granen muss man erleben, um so viel zu vergessen wie er? Wie sehr hat sein Verstand gelitten? Hat die Narbe auf seiner Stirn damit etwas zu tun? Tungdil sah betreten zu Boden. »Verzeih mir. Es ist mir ...« Er seufzte.
    »Was ist mit Sirka? Hast du auch sie vergessen?« Ingrimmsch sah schon am Ausdruck in seinem Gesicht, dass er keine Ahnung hatte, von wem er redete. Er packte ihn bei den Schultern.»Gelehrter, sie war eine der Untergründigen und deine große Liebe! Und du willst mir sagen, das wäre dir entfallen?« Er schaute in das Auge und suchte nach einer Erklärung, einer Entschuldigung, einer Antwort. Das Lid schloss sich, bevor das Braun ihm Geheimnisse offenbaren konnte.
    Tungdil wandte den Kopf zur Seite. »Es tut mir leid«, wiederholte er rau wispernd. Mit einem Zucken schüttelte er die Hände seines Freundes ab und ging langsam zum Ausgang. »Wir reden morgen weiter, wenn es dir recht ist. Ich brauche mehr Zeit, um ...« Seine Stiefel zerbrachen die Scherben zu noch kleineren Stückchen. Ingrimmsch hatte den Eindruck, dass er noch etwas sagen wollte, bevor er die Tür öffnete und in den Flur trat; aber er verließ den Raum schweigend. »Bei Vraccas, was ist mit ihm geschehen?«, wiederholte er leise seine Gedanken und suchte in den Trümmern nach der Karte des Geborgenen Landes.
    Sie war untauglich geworden. Der Branntwein hatte die Arbeit des Zeichners zunichtegemacht; Grenzen und Namen verliefen zu Schlieren und unlesbaren Zeichen. Boindil legte den Kopf schief und betrachtete die Überschrift Das Geborgene Land. Der Alkohol und das aufquellende Papier hatten mit einer Prise Vorstellungskraft Das Verlorene Land daraus gemacht.
    »Was für eine treffende Bezeichnung«, murmelte er und warf die Karte zurück auf den Boden; dabei entdeckte er einen rauchtrüben, türkisfarbenen Edelstein, den er vorher an der Gurtschließe seines Freundes gesehen hatte. Bei seinem wütenden Tischwurf schien er sich gelöst zu haben.
    Ingrimmsch hob ihn auf und machte sich auf den Weg, um ihn Tungdil zurückzubringen. Er war wertvoll. Auch wenn das Edelsteinschleifen nicht zu seinen besten Künsten gehörte, wusste er doch den Wert eines Stückes einigermaßen einzuschätzen. Einen Rauchdiamanten fand man sehr selten.
    »Oh, ich bin auch vergesslich geworden. Wir haben gar nicht über die Vierten gesprochen. Und die Freien«, fiel es ihm dabei ein. Noch zwei Gründe, den Freund kurz vor der Nachtruhe zu stören.
    Es wirkte auf ihn nach wie vor wie ein Scherz von Vraccas, dass ausgerechnet das Zwergenreich der Vierten, also der Zwerge mit den schmälsten Staturen und den vermutlich geringsten Kampfkünsten, allen Versuchen trotzte, erobert zu werden. Die Drittenführten einen Feldzug nach dem anderen gegen sie, ohne sie bezwingen zu können. Und die Freien wehrten sich nicht minder erfolgreich.
    »Das wird ihn wundern«, sagte er sich und drückte die nur angelehnte Tür zu Tungdils Gemach nach einem lauten, deutlichen Klopfen auf. »Ho, Gelehrter! Ich habe dir etwas mitgebracht. Du wirfst mit kostbaren Diamanten um dich, wusstest du das?« Tungdil stand mit dem Rücken zu ihm und schien ihn nicht bemerkt zu haben. Er hatte sein Untergewand vom Oberkörper gestreift

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