Das Schicksal des Highlanders
vielleicht braucht Nigel mich.«
»Richtig«, stimmte Nigel so eifrig zu, dass Balfour die Stirn runzelte. »Ich glaube nicht, dass man mich jetzt schon länger alleine lassen sollte.«
»Du wirst nicht allein sein«, meinte Balfour und musterte Nigel forschend, während er Maldie aus dem Raum schubste. »Die alte Caitlin ist schon unterwegs.« Er grinste, als Nigel halblaut fluchte. »Sie kann es kaum erwarten, ein paar Stunden mit ihrem süßen kleinen Bengel zu verbringen.«
»Was sollte das denn?«, fragte Maldie, als Balfour die Tür zumachte und begann, sie den Gang entlangzuziehen.
»Die alte Caitlin war Nigels Amme«, erklärte Balfour. »Sie sieht ihn heute noch als den kleinen Kerl, der er damals war, und behandelt ihn entsprechend. Aber warum bist du plötzlich so schnell bereit, mit mir zu kommen, nachdem du mir tagelang aus dem Weg gegangen bist?«
Maldie dachte kurz daran, ihm zu gestehen, dass Nigel um sie buhlte, obwohl ihre Wahl ja schon längst auf einen der beiden Brüder gefallen war, die beide versuchten, sie ins Bett zu locken. Vielleicht konnte sie Nigels vorsichtigen Verführungsversuchen ja ein Ende setzen, bevor es zu einer richtigen Auseinandersetzung kam. Mit Balfour aus dem Zimmer zu gehen, der kaum ein Hehl daraus machte, was er von ihr wollte, war immerhin eine Möglichkeit. Dennoch beschloss sie, Balfour nichts zu erzählen. Sie riskierte ohnehin schon genug, wenn sie sich weiterhin in Donncoill aufhielt; jetzt den einen Bruder gegen den anderen aufzubringen oder, schlimmer noch, sie zu veranlassen, um sie zu streiten, war gewiss äußerst unklug.
»Ich bin Euch nicht aus dem Weg gegangen«, protestierte sie und versuchte, möglichst stolz zu klingen.
»Doch. Du bist stets wie ein Mäuschen davongehuscht, das aus dem Korn aufgescheucht worden ist.«
»Ihr haltet Euch für wichtiger, als Ihr seid!«
»Du bist immer davongesprungen wie ein Häschen, dem die Hunde auf der Spur sind.«
»Ich bin nur gegangen, um Euch die Gelegenheit zu geben, mit Eurem Bruder unter vier Augen zu sprechen.«
»Davongestürmt wie eine Hirschkuh, die das Horn des Jägers hört.«
»Bald werden Euch keine Tiere mehr einfallen.« Balfour musste sich ein Lachen verkneifen. »In den Schatten geschlichen wie ein geprügelter Hund.«
»Einen Moment mal!« Maldie hielt an, als sie den Wohnturm verließen. Sie zog ihren Arm zurück, sodass auch Balfour anhalten und sie anschauen musste. »Warum nicht mehr ›gesprungen‹, ›geeilt‹, ›gestürmt‹?«
»›Geschlichen‹ hat dir wohl nicht gefallen?«
»Ich habe keine Angst vor dir, Balfour Murray!«
Er hakte sich bei ihr unter und begann weiterzugehen. »Nein? Dann bist du wohl vor mir geflüchtet, weil ich nicht so gut aussehe wie Nigel?«
Sie kam aus dem Schritt. Er beobachtete sie eingehend, während er auf ihre Antwort wartete. Sobald Nigel nach seinem Fieberanfall die Augen aufgemacht hatte, hatte Balfour gespürt, dass sein Bruder nicht mehr glaubte, von Maldie ginge eine Gefahr aus. Das Funkeln, das er manchmal in Nigels Blick bemerkte, sah nicht so aus wie das eines Mannes, der versuchte, ein Geheimnis zu entschlüsseln oder einem Betrug auf die Spur zu kommen. Nigel begehrte Maldie, und Balfour glaubte allmählich, dass sein Bruder sie ebenso stark begehrte wie er.
Seit er zum ersten Mal das lüsterne Glitzern in Nigels Augen bemerkt hatte, musste Balfour gegen den Drang ankämpfen, Maldie aus der Reichweite seines Bruders zu bringen und sie irgendwo vor ihm zu verstecken wie ein gieriges Kind, das sein Lieblingsspielzeug ganz für sich haben möchte. Balfour hatte, kaum dass er ins Mannesalter eingetreten war, immer wieder die leidvolle Erfahrung gemacht, dass die meisten Mädchen Nigel bevorzugten. Nigel war mit einem blendenden Aussehen, einem sorglosen Gemüt und einem bewundernswerten Geschick im Umgang mit Frauen gesegnet. Stets ergingen sich die Mädchen über sein wohlgeformtes Äußeres, rühmten seine Redegewandtheit, seinen Charme und seine Manieren. Eine hatte Balfour sogar gestanden, dass Nigels Fertigkeiten in der Schlafkammer seine bei Weitem überstiegen. Balfour hatte immer gedacht, er hätte diese uralte Eifersucht längst überwunden – bis er gesehen hatte, wie charmant Nigel Maldie anlächelte. Er hatte sich nach Kräften bemüht, nichts zu sagen, ruhig Blut zu wahren und die beiden nur sorgfältig zu beobachten. Dabei hatte er nie bemerkt, dass Maldie sich von Nigel beeindrucken ließ. Aber nun wollte er, dass
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