Das Schicksal des Highlanders
konnte sie ein paar eingehende Blicke auf den großen Saal werfen und feststellen, wann und von wem er am häufigsten benutzt wurde. Dann würde sie sehen, wann es am günstigsten wäre, unbemerkt in das Verlies zu schlüpfen und Eric zumindest einen Besuch abzustatten, wenn es ihr nicht sofort gelingen sollte, ihn zu befreien.
Der kleine Sohn der Frau kauerte in Decken gehüllt in einem Erker am hinteren Teil der großen Küche. Maldie gab ihm etwas zur Beruhigung und redete besänftigend auf ihn ein, denn sie wusste, dass Schlaf das beste und auch das einzige Mittel für das war, was ihn plagte. Manchmal reichte schon der Geschmack von Medizin, um dem Kranken das Gefühl zu geben, man würde ihn heilen.
Das Bauchgrimmen des Kleinen verschwand rasch. Die unverhohlene Bewunderung, mit der Mary und ihr Sohn Maldie anstarrten, war ihr fast peinlich, zumal sie die beiden ja mehr oder weniger für ihre eigenen Zwecke ausnutzte.
Sie nahm sich fest vor, Mutter und Kind unter irgendeinem Vorwand zu Eleanor ins Dorf zu schicken, wenn es zum Kampf kommen sollte, denn dort würden sie sehr viel sicherer sein als in der Burg.
Zum Zeichen ihrer Dankbarkeit überreichte Mary Maldie ein paar Köstlichkeiten aus Beatons Speisekammer. Dann begab sich Maldie nach draußen, wo sie von vielen Leuten begrüßt wurde. Einige dankten ihr noch einmal für die Heilung von einer Verletzung oder Krankheit, andere wollten nur ein wenig mit jemandem plaudern, der aus Dubhlinn herausgekommen war. Bei ihrem ersten Besuch in der Burg hatten die Leute in Maldie, die ja als Heilerin hier war, keine Bedrohung gesehen, und sie hatte sich in der Burg und ihrer Umgebung völlig frei bewegen können. Es ärgerte sie noch immer, dass sie vor törichten, lüsternen Männern hatte fliehen müssen, bevor sie alles ausgekundschaftet hatte. Diesmal würde es anders sein. Sie hatte sich fest vorgenommen zu bleiben, bis sie Eric gefunden und vor Beaton gerettet hatte.
Eine sehr junge Magd kam ihr mit einem schwer beladenen Tablett entgegen. Sie war offenbar auf dem Weg zum großen Saal und nahm Maldies Angebot, ihr zu helfen, dankbar an. Maldie hörte nur mit halbem Ohr auf das Geplauder des Mädchens und sah sich genau um. Es fiel ihr auf, dass die Menschen scharenweise in den großen Saal strömten, sobald das Essen auf den Tischen verteilt wurde. Zu den Mahlzeiten konnte man offenbar nicht unbemerkt in das Verlies schlüpfen.
Auf dem Weg zurück zu Eleanor befiel Maldie kurz das Gefühl, dass sie sich zu viel vorgenommen hatte. Ihr Vorhaben schien ihr auf einmal unendlich groß und die Aussicht auf Erfolg verschwindend gering. Doch Maldie richtete sich kerzengerade auf und vertrieb das Gefühl des drohenden Scheiterns. Eric war in Gefahr, und er konnte sich sehr wohl als ihr Halbbruder erweisen. Wenn Balfour tatsächlich glaubte, dass sie für Beaton spionierte, dann würde er davon ausgehen, dass sie dem Mann alles erzählen würde, was sie über die Schlachtpläne der Murrays wusste. Deshalb hatte er seine Pläne bestimmt geändert, und sie hatte keine Ahnung, wann, wie oder wo Balfour und seine Männer kommen würden, um Eric zu befreien. Eleanor hatte gemeint, dass Beaton den Jungen nicht ernsthaft verletzen oder gar töten wollte, doch die Frau hatte auch bemerkt, dass ihr Laird offenbar dabei war, den Verstand zu verlieren. Sie konnte das Schicksal des Jungen nicht in Beatons Händen lassen. Und außerdem musste sie ihre Unschuld beweisen.
»Kind, ich habe mir schon Sorgen um dich gemacht!«, rief Eleanor, die auf der Schwelle ihrer Hütte stand und nach ihr Ausschau gehalten hatte.
Maldie tauchte wieder aus ihren düsteren Gedanken auf. »Es geht mir gut, Eleanor«, erwiderte sie. »Ich habe mich um einen Jungen gekümmert, der unter Bauchgrimmen und etwas Fieber litt«, fuhr sie fort, während die Alte sie in die Hütte zog.
Eleanor nickte und begann, das Abendbrot auf den Tisch zu stellen. »Du hast heilende Hände, Mädchen. Diese Gabe hat dir Gott verliehen.«
»Das hat man mir schon öfter gesagt.« Maldie legte den kleinen Beutel mit Lebensmitteln, den sie von Mary bekommen hatte, auf den Tisch. »Und das hier hat mir die dankbare Mutter des Knaben mitgegeben.«
Sie lächelte über Eleanors Freude angesichts von Käse und einer Scheibe gepökeltem Schweinefleisch. Beatons Speisekammer quoll über vor solchen Köstlichkeiten; die Kammer war so voll, dass er über Monate jeden Abend ein großes Fest hätte feiern können; offenbar hatte
Weitere Kostenlose Bücher