Das Schicksal ist ein mieser Verräter (German Edition)
keinerlei Einfluss auf die nicht sichtbare Wirklichkeit in mir hätte, ob ich mir Metastasen im Hirn oder in der Schulter vorstellte oder nicht, und dass deshalb alle derartigen Gedanken vergeudete Momente meines Lebens waren, eines Lebens, dessen Momente gezählt waren. Ich versuchte mir sogar einzureden, dass ich mein bestes Leben heute leben wollte.
Ewig kam ich nicht dahinter, warum mich etwas, was eine Fremde an eine andere Fremde (und Verstorbene) im Internet geschrieben hatte, so beschäftigte und mir solche Angst um mein eigenes Gehirn machte – das wirklich wehtat, auch wenn ich aus jahrelanger Erfahrung wusste, dass Schmerz ein stumpfes, ungenaues Diagnosewerkzeug ist.
Weil heute kein Erdbeben in Papua-Neuguinea gewütet hatte, konzentrierten sich meine Eltern ganz auf mich, und ich konnte die Angstattacke schlecht vor ihnen verbergen.
»Ist alles in Ordnung?«, fragte meine Mutter beim Essen.
»Mmh«, sagte ich. Ich biss in den Burger. Schluckte. Versuchte etwas zu sagen, das ein normaler Mensch sagen würde, dessen Hirn nicht gerade in Panik versank. »Ist da Brokkoli in dem Burger?«
»Ein bisschen«, sagte mein Vater. »Aufregend, dass du vielleicht bald nach Amsterdam fährst, oder?«
»Ja«, sage ich. Ich versuchte nicht an das Wort verwundet zu denken, was natürlich auch eine Art war, daran zu denken.
»Hazel«, sagte meine Mutter. »Wo bist du gerade?«
»Ich denke nur nach«, sagte ich.
»Bambi ist verknallt«, sagte mein Dad lächelnd.
»Ich bin nicht Bambi, und ich bin weder in Gus Waters noch in sonst wen verknallt«, sagte ich viel zu schroff. Verwundet . Als wäre Caroline Mathers eine Bombe gewesen, und als sie hochging, wurde jeder in ihrer Nähe von Splittern getroffen.
Dad fragte mich, ob ich an irgendwas für das College arbeitete. »Ich habe ziemlich komplizierte Mathe-Hausaufgaben«, sagte ich. »So kompliziert, dass ich sie einem Laien unmöglich erklären kann.«
»Und wie geht es deinem Freund Isaac?«
»Er ist blind«, antwortete ich.
»Du bist ein ziemlicher Teenager heute«, sagte Mom. Es schien sie zu stören.
»Das wolltest du doch, Mom, oder? Dass ich ein Teenager bin?«
»Na ja, nicht unbedingt die Art von Teenager. Aber natürlich freuen wir uns, dass du eine junge Frau wirst, Freunde findest und dich mit Jungs triffst.«
»Ich treffe mich nicht mit Jungs«, sagte ich. »Ich will mich mit niemandem treffen. Es ist eine schlechte Idee und reine Zeitverschwendung und …«
»Schätzchen«, sagte Mom. »Was ist denn los?«
»Ich bin … ich bin … Ich bin eine Zeitbombe, Mom. Ich bin eine Bombe, und irgendwann gehe ich hoch, und ich würde die Zahl der Opfer durch Kollateralschäden gern minimieren, okay?«
Mein Vater legte den Kopf schräg wie ein begossener Welpe.
»Ich bin eine Bombe«, sagte ich noch mal. »Und deshalb halte ich mich lieber fern von allen, lese Bücher, denke nach und hänge mit euch rum, weil ich nichts dagegen machen kann, dass ich euch mit ins Unglück reiße. Ihr steckt zu tief drin. Also lasst mich einfach in Ruhe, okay? Ich habe keine Depressionen. Ich muss nicht mehr raus. Und ich kann kein normaler Teenager sein, weil ich eine Bombe bin.«
»Hazel«, sagte mein Vater, und dann schnürte es ihm die Kehle zu. Er weinte viel, mein Vater.
»Ich gehe in mein Zimmer und lese ein bisschen, okay? Es ist alles in Ordnung. Wirklich; ich will nur ein bisschen lesen.«
Ich versuchte einen Roman anzufangen, den ich fürs College lesen musste, aber die Wände in unserem Haus waren so tragisch dünn, dass ich das meiste von dem geflüsterten Gespräch mitbekam, das auf der anderen Seite geführt wurde. Mein Vater sagte: »Es bringt mich um«, und meine Mutter sagte: »Das ist genau das, was sie jetzt nicht hören muss«, und mein Vater sagte: »Tut mir leid, aber …«, und Mom sagte: »Bist du nicht dankbar?« Und er sagte: »Gott, natürlich bin ich dankbar.« Ich versuchte mich auf den Roman zu konzentrieren, aber ich konnte einfach nicht weghören.
Also machte ich den Computer an und hörte Musik, und mit Augustus’ Lieblingsband The Hectic Glow im Ohr ging ich wieder auf Caroline Mathers Gedenkseite und las, wie tapfer sie gekämpft hatte und dass sie für immer in der Erinnerung ihrer Freunde weiterleben würde und wie sehr sie vermisst wurde und wie erschüttert alle, die sie kannten, von ihrem Tod waren.
Vielleicht hätte ich Caroline Mathers hassen sollen, weil sie mit Augustus zusammen gewesen war, doch ich hasste sie nicht.
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