Das Schicksal ist ein mieser Verräter (German Edition)
nicht mal, ob das ihr Charakter war oder der des Tumors. Eine der Schwestern hat mir nämlich erzählt, dass die Art von Tumor, die Caroline hatte, bei den Leuten im Krankenhaus nur ›Arschloch-Tumor‹ genannt wird, weil er jeden in einen Kotzbrocken verwandelt. Da war also dieses Mädchen, dem schon ein Fünftel des Gehirns fehlte und bei dem gerade wieder Zellen des Arschloch-Tumors entdeckt wurden, und sie war nicht eben das Musterbeispiel für stoische Krebskinder-Tapferkeit. Sie war … na ja, ehrlich gesagt, war sie eine Oberzicke. Aber das darf man ja nicht sagen, weil sie einen Gehirntumor hatte, und außerdem, du weißt schon, sie ist tot. Und sie hatte ja auch jeden Grund, ätzend zu sein, oder?«
Ich nickte.
»Erinnerst du dich an die Stelle in Ein herrschaftliches Leiden , als Anna über das Footballfeld zum Sport geht und stolpert und mit dem Gesicht im Gras landet, und da wird ihr klar, dass der Krebs wieder da ist, in ihrem Nervensystem? Sie kann nicht aufstehen und liegt mit dem Gesicht im Footballrasen und starrt das Gras aus nächster Nähe an, und da sieht sie, wie sich das Licht an den Halmen bricht und … Ich weiß den Wortlaut nicht mehr, aber es war so eine Art transzendentale Offenbarung wie bei Walt Whitman: Die Definition des Menschseins ist die Fähigkeit, die Herrlichkeit der Schöpfung zu bewundern oder so was. Kennst du die Stelle?«
»Ich kenne die Stelle gut«, sagte ich.
»Jedenfalls beschloss ich aus irgendeinem Grund, während mir die Chemo die Eingeweide wegätzte, wieder Hoffnung zu schöpfen. Nicht unbedingt aufs Überleben, aber es ging mir genauso wie Anna in dem Buch, ich hatte dieses überwältigende Gefühl von Glück und Dankbarkeit dafür, dass ich in der Lage war, all das zu bewundern.
Gleichzeitig ging es Caroline mit jedem Tag schlechter. Nach einer Weile durfte sie nach Hause, und es gab Augenblicke, in denen ich hoffte, wir könnten so was wie eine normale Beziehung führen, aber es ging nicht, weil sie keinen Filter hatte zwischen dem, was sie dachte, und dem, was sie sagte, und das war traurig und unangenehm und häufig schmerzhaft. Aber mal im Ernst, ein Mädchen mit einem Hirntumor kann man nicht einfach sitzen lassen. Außerdem mochten mich ihre Eltern, und sie hatte einen echt coolen kleinen Bruder. Ich meine, wie hätte ich mit ihr Schluss machen können? Sie lag im Sterben.
Es dauerte ewig. Es dauert fast ein Jahr, und dieses Jahr verbrachte ich mit einem Mädchen, das aus heiterem Himmel zu lachen anfing, auf meine Prothese zeigte und mich Krüppel nannte.«
»Nein« , sagte ich.
»Doch. Ich meine, es war der Tumor. Er fraß ihr Gehirn, verstehst du? Oder vielleicht war es nicht der Tumor. Ich kann es nicht wissen, weil die beiden untrennbar waren, sie und der Tumor. Aber als sie kränker wurde, fing sie an, immer die gleichen Geschichten zu erzählen und über ihre eigenen Sprüche zu lachen, selbst wenn sie sie schon hundertmal am Tag gesagt hatte. Zum Beispiel machte sie wochenlang immer und immer wieder den gleichen Witz: ›Gus hat tolle Beine. Ich meine, ein tolles Bein.‹ Und dann lachte sie wie eine Irre.«
»O Gus«, sagte ich. »Das ist …« Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Er sah mich nicht an, und ich hatte das Gefühl, es wäre aufdringlich, wenn ich ihn angesehen hätte. Ich spürte, wie er vor zur Sitzkante rutschte. Er nahm die Zigarette aus dem Mund, starrte sie an, rollte sie zwischen Zeigefinger und Daumen, dann steckte er sie sich wieder in den Mund.
»Na ja«, sagte er, »um fair zu sein, ich habe wirklich ein tolles Bein.«
»Tut mir leid«, sagte ich. »Es tut mir wirklich leid.«
»Alles ist gut, Hazel Grace. Aber nur um eins klarzustellen, als ich in der Selbsthilfegruppe dachte, ich würde Caroline Mathers’ Geist sehen, war das keine reine Freude. Ich habe dich angestarrt, aber ohne Sehnsucht, wenn du weißt, was ich meine.« Er nahm das Zigarettenpäckchen aus der Tasche und schob die Zigarette wieder hinein.
»Tut mir leid«, sagte ich wieder.
»Mir auch«, sagte er.
»Ich will dir niemals so was antun«, erklärte ich ihm.
»Ach, das würde mir nichts ausmachen, Hazel Grace. Es wäre mir eine Ehre, mir von dir das Herz brechen zu lassen.«
KAPITEL ZWÖLF
Um vier Uhr am holländischen Morgen wachte ich auf und war putzmunter. Alle Versuche, wieder einzuschlafen, scheiterten, und so lag ich mit meinem BiPAP da, das mir Luft in die Lunge schob und wieder aussaugte, und genoss sein Drachenschnaufen,
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