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Das Schicksal ist ein mieser Verräter (German Edition)

Das Schicksal ist ein mieser Verräter (German Edition)

Titel: Das Schicksal ist ein mieser Verräter (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Green
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sagte ich.
    »Und was würdest du raten?«, fragte er.
    »Ich weiß es wirklich nicht. Ich habe tausendmal darüber nachgedacht. Aber jedes Mal, wenn ich das Buch lese, denke ich was anderes, verstehst du?« Er nickte. »Hast du eine Theorie?«
    »Ja. Ich glaube nicht, dass der Tulpenmann ein Hochstapler ist, aber er ist nicht so reich, wie er vorgibt. Und ich glaube, nachdem Anna stirbt, zieht ihre Mutter mit ihm in die Niederlande und denkt, sie würde ewig dort bleiben, aber es klappt nicht, weil sie lieber dort sein will, wo ihre Tochter gelebt hat.«
    Ich war überrascht, dass er so viel über das Buch nachgedacht hatte – dass ihm Ein herrschaftliches Leiden etwas zu bedeuten schien, unabhängig von mir.
    Das Wasser plätscherte leise gegen die Ufermauer. Eine Gruppe von jungen Leuten radelte in einer Traube vorbei und unterhielt sich laut in knatterndem Niederländisch. Die winzigen Boote, kaum größer als ich, halb im Kanal ertrunken; der Geruch von stehendem Wasser; sein Arm, der mich an sich zog; sein echtes Bein neben meinem echten Bein, vom Fuß bis zur Hüfte. Ich schmiegte mich an ihn. Er zuckte zusammen. »Tut mir leid. Alles okay?«
    Er ächzte ja , doch es hatte offensichtlich wehgetan.
    »Tut mir leid«, sagte ich. »Knochige Schulter.«
    »Macht nichts«, sagte er. »Eigentlich war es schön.«
    Wir saßen lange dort. Irgendwann verließ seine Hand meine Schulter und lag einfach auf der Lehne der Parkbank. Hauptsächlich starrten wir in den Kanal. Ich dachte darüber nach, wie sie diesen Ort erschaffen hatten, obwohl er eigentlich unter Wasser sein müsste, und wie ich für Dr. Maria eine Art Amsterdam war, eine halb ertrunkene Anomalität, und damit war ich in Gedanken wieder beim Sterben. »Darf ich dich was nach Caroline Mathers fragen?«
    »Und du sagst, es gibt kein Leben nach dem Tod?«, sagte er, ohne mich anzusehen. »Klar. Was willst du hören?«
    Ich wollte hören, dass er darüber wegkam, wenn ich starb. Ich wollte keine Zeitbombe sein, keine zerstörerische Kraft im Leben derer, die ich liebte. »Einfach nur, was passiert ist.«
    Er seufzte und atmete dabei so lange aus, dass es auf meine kaputte Lunge wirkte, als wollte er sich über mich lustig machen. Dann schob er sich eine neue Zigarette in den Mund. »Du weißt ja, dass an keinem Ort der Welt weniger gespielt wird als auf einem Krankenhausspielplatz?« Ich nickte. »Also, ich war ein paar Wochen im Memorial Hospital, als sie mir das Bein abnahmen und so weiter. Ich war oben im vierten Stock mit Blick auf den Spielplatz, der natürlich vollkommen trostlos war. Und ich war schon ganz versunken in die metaphorische Tiefe des leeren Spielplatzes auf dem Krankenhausgelände. Aber dann tauchte plötzlich dieses Mädchen auf dem Spielplatz auf, jeden Tag, und schaukelte mutterseelenallein vor sich hin, wie im Kino oder so was. Und dann habe ich eine meiner netten Schwestern gefragt, ob sie was über das Mädchen rausfinden könnte, und die Schwester hat sie zu mir hoch gebracht, und es war Caroline, und dann habe ich mein unwiderstehliches Charisma darauf verwendet, ihr Herz zu gewinnen.« Er hielt inne, und ich beschloss, etwas zu sagen.
    »So charismatisch bist du gar nicht«, sagte ich. Er räusperte sich. »Du bist einfach nur scharf.«
    Er grinste verlegen. »Das Problem bei toten Leuten«, begann er, dann brach er wieder ab. »Das Problem ist, wenn man nicht alles romantisch verklärt, klingt man wie ein Miesling, aber die Realität ist … komplizierter, wahrscheinlich. Also, du kennst doch dieses Klischee vom tapferen und entschlossenen Krebsopfer, das stoisch mit übermenschlicher Stärke bis zuletzt gegen den Krebs kämpft und sich nie beklagt, und nie zu lächeln aufhört, bis das Ende kommt, oder?«
    »Allerdings«, sagte ich. »Das sind die herzensguten Seelen, deren jeder Atemzug uns allen zum Vorbild gereicht. Sie sind so stark! Wir bewundern sie so!«
    »Genau, aber in Wirklichkeit – natürlich von uns abgesehen – sind Krebskinder statistisch gesehen auch nicht besser oder mitfühlender oder tapferer oder sonst was als andere Kinder. Caroline ist immer launisch und unglücklich gewesen, aber ich fand es gut. Ich fand das Gefühl gut, dass sie mich als einzigen Menschen auf der Welt auserwählt hatte, den sie nicht hasste, und die meiste Zeit, die wir miteinander verbrachten, haben wir über alle anderen gelästert. Über die Krankenschwestern und die anderen Kinder und unsere Eltern und so weiter. Dabei weiß ich

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