Das Schicksal ist ein mieser Verräter (German Edition)
und macht mich so traurig.
Ich habe nicht mit Peter gesprochen, seit ich an dem Tag, als wir uns kennengelernt haben, gekündigt habe. Hier ist es schon spät, aber gleich morgen früh fahre ich bei ihm vorbei, um den Brief zu suchen und ihn zu zwingen, ihn zu lesen. Normalerweise ist morgens seine beste Zeit.
Deine Freundin
Lidewij Vliegenthart
PS: Ich nehme meinen Freund mit für den Fall, dass wir Gewalt anwenden müssen.
Ich fragte mich, warum er in seinen letzten Tagen an Van Houten geschrieben hatte und nicht an mich und warum er Van Houten über Lidewijs E-Mail-Konto gesagt hatte, er könne alles wieder gutmachen, wenn er mir nur meine Fortsetzung gab. Vielleicht hatte er die Bitte auf den Notizbuchseiten wiederholt. Es sah Gus ähnlich, dass er sein Sterben als Hebel einsetzte, um meinen Traum zu erfüllen: Die Fortsetzung war zwar eine Kleinigkeit, um dafür zu sterben, aber es war das Größte, was er noch hatte.
Den ganzen Vormittag sah ich fern, doch meine Gedanken schweiften immer wieder ab, und ich stellte mir vor, wie Lidewij Vliegenthart und ihr Freund mit dem Fahrrad durch Amsterdam fuhren auf der verrückten Mission, die letzte Korrespondenz eines toten Jungen aufzuspüren. Wie lustig es wäre, bei Lidewij Vliegenthart auf dem Gepäckträger über das Kopfsteinpflaster zu holpern und mir vom Fahrtwind ihre roten Locken ins Gesicht wehen zu lassen, der Geruch nach den Kanälen und Zigarettenrauch, die Leute auf den Café-Terrassen, die Bier tranken und ihre R s und G s auf eine Weise aussprachen, die ich nie lernen würde.
Ich vermisste die Zukunft. Ich hatte natürlich schon vor seinem Rückfall gewusst, dass ich nicht mit Augustus Waters alt werden würde. Aber als ich an Lidewij und ihren Freund dachte, fühlte ich mich betrogen. Wahrscheinlich würde ich nie wieder den Ozean aus 10 000 Metern Höhe sehen, so weit oben, dass man weder Wellen noch Schiffe erkennen konnte und der Ozean wie ein riesiger, endloser Koloss aussah. Ich konnte es mir vorstellen. Ich konnte mich daran erinnern. Aber ich würde es nie wieder mit eigenen Augen sehen, und mir kam der Gedanke, dass die gefräßige menschliche Sehnsucht nie gestillt wird, wenn Träume wahr werden, weil sich immer sofort der Gedanke einstellt, es könnte alles noch besser und öfter passieren.
Das stimmte wahrscheinlich noch mit neunzig – auch wenn ich neidisch auf die bin, die es herausfinden werden. Andererseits lebte ich schon doppelt so lang wie Van Houtens Tochter. Was hätte er darum gegeben, dass seine Tochter mit sechzehn gestorben wäre.
Plötzlich stellte sich Mom vor den Fernseher, die Hände hinter dem Rücken verschränkt. »Hazel«, sagte sie. Sie klang so ernst, dass ich dachte, es sei irgendwas passiert.
»Ja?«
»Weißt du, welcher Tag heute ist?«
»Es ist nicht mein Geburtstag, oder?«
Sie lachte. »Noch nicht ganz. Es ist der vierzehnte Juli, Hazel.«
» Dein Geburtstag?«
»Nein …«
»Harry Houdinis Geburtstag?«
»Nein …«
»Mir fällt nichts mehr ein.«
»Es ist der französische Nationalfeiertag! DER TAG DES STURMS AUF DIE BASTILLE!« Sie zog die Hände hinter dem Rücken hervor und wedelte wild mit zwei französischen Fahnen durch die Luft.
»Das klingt total gekünstelt. Wie der Tag des Bewusstseins für die Cholera.«
»Ich versichere dir, Hazel, es ist nichts Gekünsteltes am Tag der Bastille. Wusstest du, dass heute vor 223 Jahren das französische Volk das Pariser Gefängnis gestürmt hat, um sich für den Kampf für die Freiheit zu bewaffnen?«
»Wow«, sagte ich. »Diesen denkwürdigen Jahrestag sollten wir feiern.«
»Zufälligerweise habe ich uns gerade mit deinem Vater zum Picknick im Holliday Park verabredet.«
Meine Mutter. Sie konnte es nicht lassen. Ich stemmte mich von der Couch hoch. Zusammen klatschten wir ein paar Sandwiches zusammen und fanden einen staubigen Picknickkorb im Putzschrank im Flur.
Es war ein recht schöner Tag, endlich richtiger Sommer in Indianapolis, warm und feucht – ein Wetter, das einen nach einem langen Winter daran erinnerte, dass die Welt zwar nicht für die Menschen geschaffen war, aber wir Menschen für die Welt. Dad wartete schon auf uns. Er trug einen beigen Anzug und stand mit seinem Palmtop auf einem Behindertenparkplatz. Er winkte uns in den Parkplatz, dann umarmte er mich. »Was für ein Tag«, sagte er. »Wenn wir in Kalifornien leben würden, wäre jeder Tag so.«
»Ja, aber dann würden wir uns nicht so darüber freuen«, sagte
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