Das Schicksal ist ein mieser Verräter (German Edition)
Größe der Buchstaben unterschiedlich, so wie die Farbe des Kulis auch. Er hatte an verschiedenen Tagen in verschiedenen Bewusstseinsstadien daran geschrieben.
Van Houten,
ich bin ein guter Mensch, aber ein mieser Schriftsteller. Sie sind ein mieser Mensch, aber ein guter Schriftsteller. Wir wären ein gutes Team. Ich will Sie um keinen Gefallen bitten, aber wenn Sie Zeit haben – und soweit ich gesehen habe, haben Sie jede Menge Zeit –, wollte ich Sie fragen, ob Sie eine Grabrede für Hazel schreiben könnten. Ich habe Stichworte gemacht und so weiter, aber Sie müssten das Ganze bitte in eine zusammenhängende Form bringen oder so. Oder mir einfach sagen, was ich anders sagen soll.
Das ist das Besondere an Hazel: Fast jeder Mensch ist total besessen davon, in dieser Welt ein Zeichen zu setzen. Der Nachwelt etwas zu hinterlassen. Den Tod zu überdauern. Wir wollen alle, dass man sich an uns erinnert. Ich auch: Was mir am meisten zu schaffen macht, ist, irgendein namenloses Opfer zu sein, ein weiterer Toter, an den sich niemand erinnert. Das ist am schlimmsten, ein Opfer zu sein, noch ein namenloser Toter im uralten und ruhmlosen Kampf gegen die Krankheit.
Ich will ein Zeichen setzen.
Aber Van Houten: Die Zeichen, die die Menschen setzen, sind viel zu oft Narben. Jemand baut ein hässliches Einkaufszentrum oder zettelt einen Staatsstreich an oder wird ein Rockstar und denkt: »Jetzt werden sie sich an mich erinnern«, aber a) sie werden sich trotzdem nicht erinnern, und b) das Einzige, was man hinterlässt, sind weitere Narben. Das Einkaufszentrum ist eine Wunde.
(Okay, vielleicht bin ich gar kein so mieser Schriftsteller. Aber ich kriege meine Ideen nicht zusammen, Van Houten. Sie sind wie Sterne, in denen ich keine Sternbilder erkennen kann.)
Wir sind wie eine Meute Hunde, die an Hydranten pinkeln. Wir verpesten das Grundwasser mit unserer giftigen Pisse und rackern uns ab, weil wir uns einbilden, dass unsere lächerlichen Werke uns erlauben, unsern Tod zu überleben.
Aber ich kann nicht aufhören, an Hydranten zu pinkeln. Ich weiß, es ist jämmerlich und sinnlos – jämmerlich sinnlos in meinem jetzigen Zustand –, aber ich bin ein Tier wie alle anderen.
Hazel ist anders. Sie geht ganz leicht, alter Mann. Sie geht leichten Fußes durch die Welt. Hazel kennt die Wahrheit: Wir können dem Universum genauso gut schaden wie helfen, und wahrscheinlich liegt keins von beiden in unserer Macht.
Hazel geht leicht. Vielleicht finden es manche schade, dass sie weniger Narben hinterlässt, dass sich weniger Leute an sie erinnern, dass sie zwar tief geliebt wurde, aber nicht von vielen. Aber es ist nicht traurig, Van Houten. Es ist ein Triumph. Es ist heroisch. Ist das nicht die wahre Tapferkeit? Wie die Ärzte sagen: Das erste Gebot ist, niemandem zu schaden.
Jedenfalls sind die wahren Helden nicht die Leute, die Sachen tun; die wahren Helden sind die, die Dinge BEMERKEN , die AUFMERKSAM sind. Der Typ, der die Pockenimpfung erfunden hat, hat eigentlich nichts neu erfunden. Er hat nur bemerkt, dass Leute mit Kuhpocken keine echten Pocken bekamen.
Nachdem mein PET -Scan explodiert ist, habe ich mich in die Intensivstation geschlichen und habe sie eine Weile angesehen, als sie bewusstlos war. Ich bin einfach hinter einer Schwester mit einem Dienstabzeichen hergegangen und habe es geschafft, vielleicht zehn Minuten bei ihr zu sitzen, bevor ich erwischt wurde. Ich dachte wirklich, sie würde sterben, bevor ich ihr sagen konnte, dass ich auch sterben würde. Es war grausam: dieses pausenlose mechanische Rattern der Intensivstation. Aus ihrer Brust tropfte dunkles Krebswasser. Die Augen geschlossen. Schläuche in Mund und Nase. Aber ihre Hand war immer noch ihre Hand, immer noch warm, und ihre Fingernägel waren in diesem fast schwarzen Blau lackiert, und ich habe einfach ihre Hand gehalten und habe versucht, mir die Welt ohne uns vorzustellen, und vielleicht war ich eine Sekunde lang ein so guter Mensch, dass ich hoffte, sie würde sterben, damit sie nie erfahren würde, dass ich auch gehen würde. Aber dann wieder wollte ich mehr Zeit mit ihr, damit wir uns ineinander verlieben konnten. Der Wunsch wurde mir erfüllt, schätze ich. Ich habe meine Narbe hinterlassen.
Dann kam ein Pfleger rein und sagte mir, dass ich gehen musste, dass Besucher verboten waren, und ich fragte, wie es ihr ging, und der Pfleger sagte: »Es sammelt sich immer noch Wasser.« Für die Wüste ein Segen, als
Weitere Kostenlose Bücher