Das Schicksal ist ein mieser Verräter (German Edition)
unseren Gebeten, Hazel. Okay, mach’s gut.«
Drei oder vier Seiten aus einem Notizbuch gerissen, die sich nicht mehr im Haus der Waters befanden. Wo hätte er sie für mich hinterlassen? Hatte er sie an den Funky Bones versteckt? Nein, es ging ihm nicht gut genug, um dorthin zu kommen.
Jesus’ buchstäbliches Herz. Vielleicht hatte er sie an seinem Letzten Guten Tag dort für mich versteckt.
Also machte ich mich am nächsten Tag zwanzig Minuten früher auf den Weg zur Selbsthilfegruppe. Ich holte Isaac ab, dann fuhren wir mit runtergekurbelten Fenstern zu Jesus’ buchstäblichem Herzen und hörten das im Internet durchgesickerte neue Album von The Hectic Glow, das Gus nie zu hören bekommen hatte.
Wir nahmen den Fahrstuhl. Ich führte Isaac zu einem Stuhl im Kreis des Vertrauens, dann arbeitete ich mich langsam durch das buchstäbliche Herz. Ich sah überall nach: unter den Stühlen, um das Rednerpult, an dem ich meine Grabrede hielt, unter dem Buffettisch, am Schwarzen Brett, wo die Zeichnungen der Sonntagsschüler von der Liebe Gottes hingen. Nichts. Es war der einzige Ort, an dem wir in den letzten Tagen zusammen gewesen waren, außer bei ihm zu Hause, und entweder waren die Seiten nicht hier, oder ich übersah etwas. Vielleicht hatte er sie noch mit ins Krankenhaus genommen, aber selbst wenn, hatte man sie nach seinem Tod mit ziemlicher Sicherheit weggeworfen.
Als ich mich schließlich auf den Stuhl neben Isaac setzte, war ich völlig außer Atem, und ich brauchte Patricks komplette eierlose Bekenntnisse, meiner Lunge einzureden, dass alles in Ordnung war, dass sie Luft bekam, dass genug Sauerstoff da war. Meine Lunge war erst eine Woche, bevor Gus starb, drainiert worden – ich hatte zugesehen, wie das bernsteinfarbene Krebswasser durch den Schlauch aus mir herauströpfelte –, und doch fühlte sie sich schon wieder voll an. Ich konzentrierte mich so auf meine Atmung, dass ich erst gar nicht mitbekam, wie Patrick meinen Namen sagte.
Dann sah ich auf. »Ja?«, fragte ich.
»Wie geht es dir?«
»Es geht, Patrick. Ich bin ein bisschen außer Atem.«
»Möchtest du eine Erinnerung an Augustus mit der Gruppe teilen?«
»Ich wünschte, ich würde einfach sterben, Patrick. Wünschst du dir auch manchmal, du würdest sterben?«
»Ja«, sagte Patrick ohne die übliche Bedenkpause. »Ja, natürlich. Und warum tust du es nicht?«
Ich dachte darüber nach. Meine alte Standardantwort war, dass ich für meine Eltern am Leben bleiben wollte, weil sie nach mir am Boden zerstört und kinderlos wären, und das stimmte zum Teil auch, aber es war nicht der springende Punkt. »Ich weiß es nicht.«
»Weil du hoffst, dass du wieder gesund wirst?«
»Nein«, sagte ich. »Nein, das nicht. Ich weiß es wirklich nicht. Isaac?«, fragte ich. Ich hatte keine Kraft mehr zu reden.
Isaac fing an über wahre Liebe zu reden.
Ich konnte ihnen nicht sagen, was ich dachte, weil es mir kitschig vorkam, aber ich dachte daran, dass das Universum bemerkt werden wollte und dass ich ihm so viel Aufmerksamkeit schenken musste, wie ich konnte. Ich hatte das Gefühl, ich schuldete dem Universum etwas, und ich konnte es ihm nur durch Achtsamkeit zurückzahlen; und außerdem schuldete ich jedem etwas, der kein Mensch mehr sein durfte, und jedem, der noch kein Mensch war. Im Prinzip das, was mein Vater gesagt hatte.
Für den Rest der Selbsthilfegruppe war ich still, und Patrick sagte ein besonderes Gebet für mich, und Gus’ Name wurde an die lange Liste der Toten geheftet – neunzehn Tote auf jeden von uns –, und wir versprachen unser bestes Leben heute zu leben, und dann ging ich mit Isaac zum Auto.
Als ich nach Hause kam, saßen meine Eltern jeder mit seinem Laptop am Küchentisch, und kaum kam ich zur Tür herein, klappte Mom ihren Laptop zu. »Was hast du da auf dem Computer?«
»Nur ein paar Rezepte mit niedrigem Stickstoffgehalt. Bereit für den BiPAP und America’s Next Top Model ?«, fragte sie.
»Ich leg mich eine Minute hin.«
»Alles in Ordnung?«
»Ja, nur müde.«
»Aber du musst etwas essen, bevor …«
»Mom, ich bin tierisch unhungrig.« Ich ging einen Schritt auf die Tür zu, aber sie trat mir in den Weg.
»Hazel, du musst essen. Und wenn es nur ein paar Chips …«
»Nein. Ich gehe ins Bett.«
»Nein«, sagte Mom. »Du gehst nicht.« Ich sah meinen Vater an, der mit den Schultern zuckte.
»Es ist mein Leben«, sagte ich.
»Du wirst dich nicht zu Tode hungern, nur weil Augustus gestorben ist. Du
Weitere Kostenlose Bücher