Das Schiff aus Stein
Berge und die Stadt selbst, um das Wasser dorthin zu führen, wo es gebraucht wird. In dieser Stadt fließt das Wasser auf Befehl der Menschen!«
Amilcar betrachtete die Stadt vor ihm und schwieg.
Wieder wechselte die Flut.
Ein kleiner Mann in einem reich bestickten Mantel und mit Schnabelschuhen stand in einer hohen Halle auf einem Podest vor Amilcar. Das musste der König sein, von dem Stratis gesprochen hatte, dachte Rufus.
Der Grieche übersetzte, was er sagte.
»Du sollst mir Glas machen!«, rief der König. »So viel und so schnell du kannst! Vasen, Krüge, Schalen, Perlen! Alles, was du vermagst. Ich brauche Gold, um eine Armee zu kaufen, und du wirst es mir beschaffen. Tust du das, dann lebst du. Tust du es nicht, gehst du unter. Hast du verstanden?«
Amilcar nickte.
»Ich werde dir Arbeiter an die Seite stellen, und du wirst gute Arbeit liefern. Du kannst stolz sein, in Veji zu sein, denn sogar Rom beneidet uns!«
Die plötzlich einsetzende Nacht ließ die Lehrlinge zusammenzucken. Wieder hatte die Flut gewechselt.
»Mann, geht das schnell!« No hielt sich unwillkürlich an Bent fest. »Wo sind wir denn jetzt?«
Amilcar stand in einer großen Werkstatt voller Arbeiter und Gerätschaften vor einer offenen Glasschmelze. Das flüssige Glas glühte hell. Doch worüber die Lehrlinge erschraken, war das Aussehen des jungen Glasmachers. Amilcars Gesicht war vor Anstrengung verzerrt. Tiefe Furchen lagen um seinen Mund. Er hielt eine eiserne Zange in Händen und zog damit einen Klumpen Glas aus der Schmelze, den er auf eine steinerne Drehplatte legte. Dann rief der Glasmacher Hanno, der etwas abseits stand, zu: »Sag dem Arbeiter, er soll die Scheibe drehen und das Glas dabei hochziehen, sodass es schlank und aufrecht wird, wie ich es ihm gezeigt habe.« Er deutete auf einen Mann.
Hanno übersetzte es, und der Arbeiter setzte die Scheibe in Bewegung und fuhr mit zwei Spateln am Glas entlang. Amilcar beobachtete, was der Mann tat, und ließ ihn dann in Ruhe weiterarbeiten.
An der Tür der Werkstatt hielt ein Mann, der mit einem Schwert gegürtet war, Wache.
»Du bist wirklich ein sehr guter Glasmacher«, sagte Hanno. »Wenn du die Rasenna weiter so lehrst, wird der König dir eines Tages vielleicht sogar die Freiheit schenken.«
»Eines Tages!« Amilcar fuhr herum und starrte Hanno an. »Mein Handwerk ist eine freie Kunst, aber ich arbeite hier als Gefangener! Und du glaubst auch noch, dass dieser König mich jemals wieder freigeben wird. Das ist ein Traum, Hanno!«
»Aber warum arbeitest du dann weiter? Warum lehrst du sie alle, Glas zu machen?«
»Weil ich die Verantwortung für dein Leben trage«, erwiderte Amilcar. »Ich habe dir gesagt, dass du eines Tages in Tyros ein freier Mann sein wirst, und dafür werde ich sorgen. Du hast mir auf dem Schiff das Leben gerettet. Und ehe ich dieses Schuld nicht beglichen habe, werde ich nicht aufgeben. Noch bestimme ich, was ich tun will. Und mein Wille ist meine Arbeit! König Laris will meine Glaswaren, um mit ihnen den Krieg gegen Rom zu bezahlen, der ihm bevorsteht. Er weiß genau, dass wir Tyrener unsere Freiheit nur behalten haben, weil wir unsere Flotte den Persern angedient haben. Deswegen denkt er, alle Tyrener seien schwach. Aber das bin ich nicht, Hanno. Er denkt, ich wäre ein dem Golde ergebener Kaufmann und würde darauf spekulieren, dass ich mich eines Tages von ihm freikaufen kann. Doch was er nicht versteht, ist, dass die erste Grundlage des Handels die Freiheit ist! Darum liebte mein Vater das Meer. Das habe ich jetzt begriffen. Er hat immer die Freiheit an erster Stelle gesehen und ist ihr gefolgt. Dafür war ihm der Handel ein Weg. Und mein Weg wird es sein, Hanno, dich und mich von hier zu befreien.«
»Aber wie willst du das fertigbringen?«, flüsterte Hanno und deutete auf den Wachtposten.
»Ich will unseren Entführer überlisten. König Laris ist ein Abhängiger der Materie, er braucht das Glas, um Geld damit zu verdienen. Ich aber werde das Glas von der Materie befreien!«
Hanno sog schwer die Luft ein. »Wie willst du uns denn von hier fortbringen?«
»Dazu brauchen wir nur besseren Sand, als ihn die Rasenna uns bisher gegeben haben.« Amilcar lachte leise. »Das wirst du schon sehen. Doch zuerst muss ich das Geheimnis meines Vaters ergründen. Und dazu brauche ich von dir ein besonderes Instrument.«
»Diese Flut«, flüsterte Filine plötzlich, »erzählt mehr als die Geschichte eines Artefakts.«
»Wie meinst du das?«,
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