Das Schiff aus Stein
die Schultern und in den Nacken. Plötzlich merkte er, wie satt er es hatte, zu täuschen und zu lügen. Er sah Oliver in die Augen und flüsterte: »Sie will, dass ich in ihren Traumfluten mitmache. Sie hat einen Plan, aber ich weiß nicht wirklich, um was es geht. Sie will die Herrschaft über die Akademie an sich reißen. Sie ist gierig …«
Oliver legte ihm einen Arm auf die Schulter. Ich mag Coralia nicht, schrieb er. Sie ist nicht fair. Aber jeder träumt mal davon, durch seine Fluten reich oder mächtig zu werden. Das gehört dazu. Es ist eben eine Versuchung.
Rufus schwieg. Zum ersten Mal, seit er ihn kennengelernt hatte, hatte er das Gefühl, offen und ehrlich mit Oliver zu sprechen. Und gleichzeitig wusste er nicht, was er sagen sollte.
»Aber reich und mächtig …«
Das ist ein alter Traum, schrieb Oliver. Woher weiß man, dass Liebe und Freundschaft viel reicher machen als alles andere?! Und dass die wahre Macht nur entsteht, wenn viele zusammenhalten? Man muss es erst erfahren. Coralia hat das noch nicht, sie ist egoistisch. Sie ist ein total verwöhntes Einzelkind. Ihre Eltern sind auch reich und mächtig und Coralia ist so erzogen worden. Sie kennt es nicht anders.
»Aber …«, sagte Rufus. Er biss sich auf die Lippen. »Das macht es nicht besser! Sie will ihre Ziele mit allen Mitteln durchsetzen. Und das darf nicht passieren.« Er wandte sich ab und sah aufs Wasser.
Oliver hielt ihm seinen Block vor die Nase. So ist das eben, wenn man die Akademie übernehmen will.
»Aber das ist doch nicht normal!«, rief Rufus.
Doch, schrieb Oliver. Sie will das, was jeder Egoist will. König sein …
»Niemand darf die Akademie für sich allein beanspruchen«, sagte Rufus. »Das ist unfair und gemein.«
Ruhig schrieb Oliver auf seinen Block: Ja, das ist es. Aber sie meint das ehrlich. Sie glaubt, dass sie das Richtige tut. Das ist das Gefährliche, denn deswegen kann sie es auch schaffen! So sind Egoisten. Sie wollen alles für sich und denken, dass sie damit sogar anderen noch etwas Gutes tun.
Rufus spürte, wie seine Wangen sich röteten. »Du meinst, sie kann das schaffen?«
Oliver nickte und schrieb: Ja, aber es ist auch für sie selbst gefährlich. Meister Günther hat es mir einmal erklärt. Jeder Lehrling kann dem Wahn verfallen, er könnte die Akademie übernehmen oder einen Antiquitätenladen aus ihr machen. Das ist nicht neu. Diese Gier überfällt fast jeden einmal. Manche mehr, manche weniger. Selbst die Meister sind davor nicht gefeit. Aber wenn das wirklich passieren würde, dass ein Mensch sich zum alleinigen Herrscher über die Akademie aufschwingt, dann verliert sie ihre Kräfte.
»Wieso denn das?«, fragte Rufus.
Weil die Akademie ohne Menschen keine Kräfte hätte, schrieb Oliver. Sie ist nicht einfach da und schickt uns ihre Fluten. Sie schickt sie nur, weil wir forschen und nachdenken und uns einbringen. Die Akademie lebt aus dem Zusammenspiel der Kräfte. Wir alle sind die Akademie. Das aber kann ein Egoist nicht begreifen. Und deswegen spielt Geld in der Akademie keine wirkliche Rolle. Und wenn man der Gier nachgibt, dann würde es die Akademie zerstören …
Rufus stöhnte auf.
Der stumme Lehrling sah ihn neugierig an. Was ist?, schrieb er.
»Ach, nichts«, murmelte Rufus. Aber er dachte an seine Mutter. Das würde er ihr niemals erklären können. Sie würde nur sagen, er solle sich nicht benehmen wie ein dummes Kind, das nichts von der Welt wusste.
Oliver zog die Brauen zusammen. Er schrieb: Coralia hat mich auch mal gefragt, ob ich mit ihr in Traumfluten gehe. Und sie hat immer von Geld geredet. Ich finde das langweilig. Sie fragt eben jeden. Und wenn du mitmachst, schadest du der Akademie.
»Das mache ich nicht!«, rief Rufus.
Aber du schützt sie, schrieb Oliver.
»Ich schütze nicht sie!«
Oliver musterte Rufus: Und wen dann? Du verbirgst etwas.
»Nein, ich … Ich verberge niemand! Ich …«, stotterte Rufus. Dann stieß er hervor: »Ich habe Angst, dass sie irgendwie meine Mutter da mit reinzieht. Coralia hat auf dem letzten Flutmarkt dafür gesorgt, dass sie ein wertvolles Artefakt gekauft hat.«
Rufus seufzte.
»Ich glaube, sie machen Geschäfte zusammen. Und meine Mutter ist nur wegen mir so gierig geworden. Das macht mich total fertig.«
Oliver schrieb: Ich glaube dir. Ich werde nichts verraten.
Er streckte Rufus die Hand hin.
Rufus schlug ein. »Und jetzt lass uns die Flut zusammen meistern«, sagte er mit fester Stimme.
Ja, Oliver klappte seinen
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