Das Schiff aus Stein
recht sein«, sagte Amilcar.
Angeführt von ihrem Befreier verließen er und Hanno eilig die Werkstatt. In den Schatten geduckt hasteten sie durch einige Gassen und stiegen dann an einer kleinen Brücke einen Hang hinunter. Unter der Brücke öffnete sich ein Eingang in einen in den Fels geschlagenen Tunnel. Die Flüchtenden verschwanden in diesem.
Rasch folgten ihnen die sechs Lehrlinge.
Sie befanden sich jetzt unmittelbar hinter Amilcar und Hanno. In der Mitte des Tunnels verlief ein Wassergraben.
»Diese Tunnel werden der Untergang Vejis sein«, lachte der kleine Mann leise, während er voranging. »Der Feldherr Marcus Furius Camillus ahnt, dass diese Zugänge schlecht bewacht werden und unmittelbar in die Stadt führen. Du hast Glück, Glasmacher, dass du die Stadt jetzt noch verlassen kannst. Bald wird es zu spät sein. Rom ist bereits zu mächtig. Und kein Gold der Welt wird König Laris vor seinem Schicksal bewahren können.«
»Befreist du uns denn nicht auch nur für Gold?«, fragte Amilcar.
Der kleine Mann winkte ab. »Natürlich! Wenn mich dein Onkel auch mit Glasperlen bezahlt hat. Aber da die Kunst des Glasmachens hier unbekannt ist, werden mich die Perlen reich machen.«
Schweigend liefen sie weiter durch den niedrigen Felsentunnel. Ihre Schritte platschten im Wasser und der nasse Stein roch kalt und muffig. Sie kamen an mehreren Abzweigungen vorbei.
»Ohne einen Führer hätten sie sich hier auf Nimmerwiedersehen verirren können!«, flüsterte Anselm.
»Und wer weiß, ob sie nicht schon verfolgt werden!« Bent lauschte. Doch hinter ihnen war nichts zu hören.
Unvermutet bog der kleine Mann ab und wenige Schritte später erreichten sie einen Tunnelausgang. Der Führer schob einige Holzplanken zur Seite, die diesen verdeckten, und plötzlich war über ihnen der Sternenhimmel zu sehen. Der Mond war hell und klar.
Vorsichtig streckte der kleine Mann seinen Kopf ins Freie. Dann winkte er Amilcar. Hanno beachtete er gar nicht.
»Du wirst dort an den Gräbern erwartet«, sagte er zu Amilcar und deutete auf einige Höhlen in einer Felswand, die etwas abseits lagen und vom Mondlicht beschienen wurden. Dann drehte er sich um und ging ohne ein Wort des Abschieds durch den Tunnel davon.
Amilcar und Hanno krabbelten ins Freie. Zur einen Seite erstreckten sich Felder, zur anderen lagen die Felsen mit den dunklen Höhleneingängen.
»Und wenn es eine Falle ist?«, flüsterte Hanno.
»Das werden wir sehen. Wir können jetzt sowieso nicht mehr zurück!« Amilcar ging voran.
Plötzlich blieb er stehen. »Da!« Er deutete voraus. In einer der Höhlen flackerte ein schwaches Licht.
»Wer erwartet uns dort?«, fragte Hanno.
»Hab keine Angst!« Amilcar ging voran und die beiden Flüchtenden traten in die Höhle ein.
Das Licht einer Öllampe beschien die Wände, die in leuchtenden Farben bemalt waren.
Die Lehrlinge erkannten einen Flötenspieler in einem blauen Umhang und mit grünen Zweigen im Haar. Daneben liefen Hunde und Leoparden, die rote Ziegen jagten. Ein Diskuswerfer setzte zum Wurf an und Frauen tanzten unter roten und blauen Vögeln neben Männern auf Pferderücken und mächtigen Schiffen.
Davor stand Amilcars Onkel und lächelte.
»Amilcar!«, sagte er und trat auf seinen Neffen zu. »Du lebst und du bist frei!«
»Onkel!« Amilcar breitete die Arme aus, und die beiden umarmten sich.
»Sie sind prächtig, die letzten Ruhestätten der Rasenna«, sagte Amilcars Onkel. »Ihre Farben sind strahlend, und ich hätte gerne gewusst, wie sie sie herstellen. Doch dafür bleibt uns keine Zeit. Ich habe ein Fischerboot unten am Fluss liegen, das uns zum Tiber und diesen hinab nach Ostia bringen wird. Dort liegt mein Schiff. Wer ist dein Begleiter?«
»Das ist Hanno«, erwiderte Amilcar. »Er war ein Sklave auf dem Schiff des Piraten, der mich hierher entführt hat. Er hat mir mit seinem Flötenspiel das Leben gerettet und mich auf die Spur des dünnen Glases gebracht! Mein Vater hatte recht, Onkel! Doch das alles werde ich dir berichten, wenn wir in Sicherheit sind.«
Stolz sah Amilcars Onkel seinen Neffen an.
»Dein Geist ist erblüht, Amilcar. Du sprichst wie ein Mann!«
»Ja, ich habe viel gelernt, Onkel. Aber nun lass uns diesen Ort verlassen. Nie wieder will ich in Gefangenschaft leben müssen. Und er«, er deutete auf Hanno, »auch nicht. In Tyros wird er ein freier Mann sein! Denn er hat sich die Freiheit durch seine Taten an meiner Seite schon lange erworben!«
Amilcars Onkel nickte.
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