Das Schiff der Hoffnung
aber die beiden dickverglasten Bullaugen waren zu eng, um sich hindurchzuzwängen. Außerdem waren sie fest verschraubt. Frischluft blies eine an der Decke angebrachte Klimaanlage in die Kabine.
Ein luxuriöses Gefängnis, dachte Frank Hellberg. Ledersessel, ein modernes, flaches Bett, eine eingebaute Bar mit allen erdenklichen Alkoholika und Mineralwasser, ein Berberteppich auf dem blanken Parkettboden, ein Radioapparat und ein Fernsehgerät. Die Welt war zu Gast bei den Gefangenen Umberto Saluzzos.
Bis jetzt konnte sich Hellberg noch kein Bild machen, warum das alles geschah. Wenn es Saluzzo um Claudia ging, wäre es einfacher gewesen, Hellberg irgendwie vom Schiff bringen zu lassen und allein mit dem Mädchen wegzufahren. Skandal? Saluzzo hatte keinen zu fürchten. Jeder Polizist in Bari hätte Hellberg bei einer Anzeige gegen Saluzzo ausgelacht. »Kann man einem Mann ein Abenteuer mit einer Signorina übelnehmen?« hätte man gesagt. »Entführung? Ich bitte Sie, Signore! Die Mädchen an Bord Saluzzos lassen sich gern entführen. Wir kennen das. Addio!«
Warum also nahm Saluzzo ihn mit?
Hellberg zog sich vor dem Essen um, trank aus der Bar ein Glas Zitronenwasser und schlief, während er sich den Schlips umband, im Sitzen vor dem Spiegel ein. Es mußte ein ganz kurzer, aber tiefer Schlaf gewesen sein, denn als er wieder aufwachte, waren nur zwanzig Minuten vergangen, er fühlte sich gar nicht mehr müde, keine Schwere war in seinem Kopf, nur der Abdruck der Glasplattenkante an seiner Wange bewies, daß er fest geschlafen und den Kopf auf den Frisiertisch gelegt hatte.
Dafür war sein Paß nicht mehr in der Jackett-Tasche, als er die Jacke anzog und gewohnheitsmäßig Brieftasche und alle nötigen Papiere kontrollierte. Er machte das immer, seitdem er einmal seinen Führerschein in einem anderen Jackett gelassen hatte und von einer Autobahnstreife angehalten worden war.
Frank Hellberg wußte nun, daß der schnelle Schlaf mit dem Zitronenwasser zusammenhing. Mißtrauisch musterte er die anderen Flaschen in der Bar. Bargen sie neue Überraschungen? Was hatte man mit ihm vor? Warum nahm man ihm den Paß ab? Damit er nicht flüchten konnte? Er lächelte etwas bedrückt. Wie kann man von einem Schiff flüchten? Umberto Saluzzo überschätzte ihn.
»Sammeln Sie Pässe, Signore?« fragte Hellberg, als man den ersten Schluck Wein getrunken hatte und der Steward die Horsd'uvre servierte. Einen Eiersalat mit winzigen, gesalzenen Krabben und Ananasstückchen. Dazu Toast und frische Landbutter.
Umberto Saluzzo lachte gemütlich. Sein getöntes Monokel blitzte im Licht des vielflammigen Kronleuchters.
»Im Paß steht Wahrheit«, sagte er. »Wenigstens in den ehrlichen Pässen normaler Menschen. Sie sind also Journalist. Das wußte ich nicht. Sampieri sagte, Sie seien Fotograf.«
»Ein Irrtum von ihm. Natürlich fotografiere ich auch als Journalist.«
»So kann man mit Worten jonglieren, natürlich. Ich werde Sampieri dafür einen Denkzettel geben. Mit Saluzzo jongliert man nicht. Aber das nebenbei … Guten Appetit.«
Hellberg sah zu Claudia, die ihm schräg gegenübersaß, näher an Saluzzo als an ihm. Sie war bleich, und ihre porzellanene Durchsichtigkeit schien noch zugenommen zu haben. Sie hatte Angst, schreckliche, stumme Angst; ihre großen, dunklen, klagenden Augen schrien sie hinaus.
Hellberg nickte ihr ermutigend zu. Sie nickte kaum merkbar zurück, aber ihr Besteck klirrte gegen den Tellerrand. Saluzzo trank wieder den duftenden, goldenen Wein und schnalzte mit der Zunge.
»Haben Sie schon einmal solchen Wein getrunken, Signore Hellberg?«
»Nein. Ich habe auch vieles noch nicht gesehen, was ich jetzt sehe.«
»Sie sind noch jung. Laut Paß ganze 26 Jahre. In diesem Alter begann ich gerade, mein stilles, unsichtbares Imperium aufzubauen. Ich kaufte mir einen Motorkahn in Sciacca und schmuggelte nach Tunis goldene Uhren. Und Medikamente. Damals war gerade in Nordafrika die Ruhr ausgebrochen! Das war ein großes Geschäft. Packungen mit jeweils sieben Röllchen einfacher Kalktabletten. Ich habe in vier Monaten über eine Million verdient.« Saluzzo lachte wie über einen guten Witz. »Merkwürdigerweise meldeten die Zeitungen, daß man nach einem Großeinsatz von Ärzten die Ruhr unter Kontrolle habe. Mit Kalktabletten. Damals sagte ich mir, daß auf der ganzen Welt die Menschen belogen und betrogen werden, denn ohne Lüge gibt es auf unserer Welt anscheinend keine Ordnung mehr. Mit dieser Erkenntnis
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