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Das Schiff - Roman

Das Schiff - Roman

Titel: Das Schiff - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
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äußerlich unversehrt. Die Haut hat den gleichen Ton wie meine. Könnte ein Mensch mit Knochenkamm sein.
    Ich sehe zu, wie das Gewirr aus Körpern immer weiter und mittlerweile fast lautlos nach unten fällt und im Dunkel verschwindet. Zurück bleibt nur der Luftzug, der den Gestank von verbranntem Fleisch zu mir herüberträgt.
    Seltsamerweise bringt mich die Tatsache, dass ich wieder mal überlebt habe, zum Lachen. Hier bin ich, existiere in unzähligen Versionen, bin nicht nur etwas neben der Spur, sondern am Rande des Wahnsinns – und lache wie ein völlig Bekloppter. Als der Lachanfall irgendwann verebbt, sauge ich so viel Luft wie möglich ein, versuche den Würgereiz zu unterdrücken und hangele mich weiter. Folge meinen Instinkten.

    Von dieser Stelle an sind die Schachtwände mit Rußspuren und Verfärbungen überzogen, die in allen Regenbogenfarben schillern. Diese Flächen müssen großer Hitze ausgesetzt gewesen sein – ein Brand? Doch die Leitersprossen sind bis jetzt noch unversehrt und stabil.
    Die folgende Stunde zieht sich endlos hin und nimmt mir einiges an Selbstvertrauen. Bin ich im Kreis gegangen? Ist das hier derselbe Schacht, den ich schon früher durchquert habe? Sind die anderen Versionen von mir dem sich gabelnden Gang gefolgt? Und sind sie nach rechts oder nach links abgebogen?
    Immer mehr Rußspuren. Plötzlich dämmert mir, was passiert sein muss: Vermutlich sind vom Treibstoff überhitzte Luftwirbel oder auch Flammen durch diesen Schacht gebraust und bis zu dem Reiniger vorgedrungen, der gerade bei der Arbeit war. Wie ein Pfropfen hat er den Luftstrom am Abzug gehindert. Und das hatte zur Folge, dass der Reiniger verschmorte, seinen Geist aufgab und feststeckte, bis Leichen beziehungsweise Leichenteile auf ihn niederprasselten.
    Hier geht es zu wie in einem Krieg.
    Hier herrscht tatsächlich der Kriegszustand.
    Nach weiteren dreißig Minuten komme ich am Ende des Schachts an, das kaum noch als solches zu erkennen ist. Der Schacht endet in einem verbrannten, zusammengeschmolzenen und von Rissen durchzogenen Stumpf, der drei Meter in die Leere ragt – in eine hässliche, dunkle, stinkende Leere. In ein Chaos der Zerstörung. Unter dem Stumpf stapeln sich eingestürzte
Schotts, geplatzte Rohrleitungen und herausgerissene Holzbohlen in wildem Durcheinander.
    Als ich mich am Schachtrand hochziehe und umschaue, stelle ich fest, dass ich mich an einer Seite eines nicht ganz zylindrischen Hohlraums befinde, dessen Durchmesser sechzig Meter betragen mag. Mir fällt auf, dass ich mich viel leichter fühle als zu Beginn meines Abstiegs. Schätzungsweise bin ich bei meiner Reise durch den Schacht insgesamt fünfhundert Meter näher an den Mittelpunkt des Schiffskörpers herangerückt. Und je weiter ich von hier aus ins Innere vorstoße, desto weniger werde ich von Rotation und Schwerelosigkeit zu spüren bekommen.
    Die Szenerie ist ein einziger Schlamassel, aus dem ich nicht schlau werde. Unmöglich auszumachen, wie dieser Teil des Schiffs ursprünglich ausgesehen und wozu er gedient hat. Es riecht hier so streng und gleichzeitig süßlich, dass mir fast übel davon wird. Ringsum ist alles mit einem schillernden Film überzogen. Als ich von der letzten Sprosse aus die Hand ausstrecke, um die Außenwand des Schachts zu berühren, greife ich in etwas Glitschiges. Im schwachen Licht der wenigen noch funktionierenden Glühlämpchen halte ich mir die Finger vor die Augen und sehe, dass der glitschige Film nicht auf meiner Haut haften bleibt, sondern sofort anfängt, sich zusammenzuballen und feste Konsistenz anzunehmen. Als ich ihn an der Innenwand abstreife, verbindet er sich unverzüglich mit anderen Filmstreifen und glitscht auf den Schachtrand zu. Es kommt mir so vor, als
wollte sich dieser schillernde Überzug wie eine Art »Verband« um die zerstörten Schiffsteile legen, sie einhüllen, um … Was? Um mit den Reparaturen zu beginnen?
    Kann sich das Schiff eigenständig reparieren, auch ohne Hilfe der Elemente? Oder ist dieser dünne Film, dieser Überzug nur ein weiteres Element im Schiffsarsenal? Ein weiteres lebendes Werkzeug?
    Auf der gegenüberliegenden Seite des Hohlraums bewegt sich etwas. Irgendetwas Großes, schwarz Glänzendes klettert über die Trümmer, hakt sich hin und wieder irgendwo fest und hält dann an, um sich von einem Vorsprung herunterbaumeln zu lassen. Das Ding hat einen kegelförmigen Rumpf mit einer Art Schürze und zwölf lange, geschmeidige, miteinander verbundene

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