Das Schiff - Roman
im Eis. Es ist der Graben, den die Abbaumaschinen ausgehoben haben. Der Mond besteht vor allem aus Wasser und zu einem sehr viel kleineren Teil aus Deuterium, schwerem Wasser, das man für eine Fusionsreaktion nutzen kann. Fusion ist ein Prozess, bei dem Atomkerne zu einem neuen, größeren Kern miteinander verschmelzen. Das erfordert zwar sehr viel Energie, aber im Gegenzug werden enorme Mengen von Energie freigesetzt, doch das ist noch nicht alles. Die Fusion löst noch etwas viel Wirksameres aus: die Reduktion von Bosonen.
Seit Hunderten von Jahren hat der Antrieb des Schiffs Bruchstücke von Atomen und Ströme hochenergetischen Lichts in einem sich verdrillenden Strahl herausgepumpt. Die Fluggeschwindigkeit des Schiffs hat ihr Maximum bei zwanzig Prozent der Lichtgeschwindigkeit, das heißt bei sechzigtausend Kilometern pro Sekunde. Beim Raumflug des Schiffes zwischen den Sternen braucht man etwas so Riesiges wie den Eismond, um die Anforderungen der grundlegenden Gleichungen erfüllen zu können.
Am Rand meiner Erinnerung – wie etwas, das nach einem sehr plastischen Traum verblasst – sehe ich, wie man diesen kleinen Mond aus einer staubigen eiskalten Wolke im äußersten Bereich des Sonnensystems ausgewählt hat. Der Name der Wolke klang wie Ort oder Hort, ich weiß es nicht mehr.
Das Eis wird über die Stützstreben zu den Schiffskörpern transportiert, dort eingeschmolzen, in Schleusen gepumpt und in einem großen Tank gelagert.
Jede Menge Wasser, aber keines, an das ich herankomme. Ich bin erschöpft, habe Schmerzen, bin durstig. Schließlich spritze ich mir Wasser aus meiner Flasche in den Mund, verschlucke mich und spucke Tropfen aus, die als schwerelose Kügelchen durch den Raum schweben. Während ich wieder zu Atem zu kommen versuche, kann ich aus dem Augenwinkel heraus vage den roten Punkt erkennen.
Ein Ruck: Die Rotation hat wieder eingesetzt. Da ich nicht darauf vorbereitet bin, verlieren meine Hände den Halt, und ich rolle an der Wand rings um den Tankdeckel entlang. Hier, unmittelbar oder nahe an der Mitte des Schiffskörpers, ist die Zentrifugalkraft zwar minimal, hat mich aber trotzdem auf dem falschen Fuß erwischt. Kurz entschlossen stoße ich mich von der Wand ab, lasse mich einen Moment lang treiben und sehe mich dabei um. Während das träge gurgelnde blaugrüne Tankwasser mit seinen Wirbeln meine ganze Aufmerksamkeit in Anspruch genommen hat, ist das gläserne Stangengebilde offenbar durch die Bruchstelle im Schott entwichen, jedenfalls kann ich es nicht mehr sehen.
Doch irgendetwas befindet sich links von mir, außenbords, und bewegt sich in Gegenrichtung zur Schiffsrotation. Wie ein Vogel rucke ich mit dem Kopf hin und her. Vielleicht habe ich mich auch geirrt, und es ist nur eine Sinnestäuschung, die verschwindet, sobald ich mir die Filmreste aus den Augen gerieben habe.
Lass mich bloß in Ruhe!
Auf der anderen Seite des Tanks, nahe dem breiten Frontalbereich, sind in regelmäßigen Abständen Luken in die umlaufende Wand eingelassen. Ich versuche aufzustehen, doch der Sog reißt mir die Füße weg, ich pralle von der Wand ab und treibe nach außenbord, das heißt nach »unten«. Hier wiege ich nur den Bruchteil eines Kilogramms, sofern ich mit der rotierenden Wand mithalten kann, die durch Zentrifugalkraft eine Pseudoschwerkraft erzeugt. Plötzlich wird mir schwindelig. Ich drehe mich, bis meine Handflächen die Wand erreichen und darüber gleiten, die bis auf die ausgezackten Ränder rund um die Bruchstelle im Schott glücklicherweise glatt ist. Gleich darauf stoße ich mich von ihr ab, bis die Bruchstelle an mir vorbeigezogen ist. Schließlich lasse ich mich flach auf die Wand sinken und vertraue darauf, dass die Reibung stark genug ist, um mich oben zu halten. Mit ausgestreckten Armen und Beinen drehe ich mich mit der Wand. Jedes Wesen, das sich in diesem Raum geschickter bewegen kann als ich, könnte mich jetzt ohne jede Mühe angreifen.
Von meinem Aussichtspunkt aus kann ich deutlich erkennen, was im Tank vor sich geht. Die gewaltige Flüssigkeitsmenge reagiert mit verblüffender Dynamik auf die Rotation: In der Mitte versuchen sich die Blasen miteinander zu verbinden, aber die Wasserströmungen brechen sie immer wieder auf, werfen sie nach außen, bis sie irgendwann wieder gurgelnd miteinander verschmelzen. Dieser Strudel mit all seiner Urgewalt wäre ein wunderschöner letzter Anblick, wenn man von dieser
Welt abtritt, denke ich. Man könnte darauf warten, dass das
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