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Das Schlangenmaul

Titel: Das Schlangenmaul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Fauser
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und so kirre war wie die Mutter, versprach dieser Job eine muntere Abwechslung.

4
    Catchen hatte Zulauf. Das Schützenzelt war schon zum ersten Kampf des Abends gut besucht, und das an einem Montag. Nur Kleppinger hatte eine Bank für sich – die Pressebank. Im schummrigen Licht sah sein Gesicht noch grauer und eingefallener aus als vor vier Jahren bei unserem letzten Treff, und seine zerzausten Haarbüschel hatten die gleiche Farbe wie der Rauch, der aus seiner Pfeife stieg. Ich rutschte so nahe an ihn heran, daß ich seinen Mundgeruch wahrnahm – Knaster, rohe Zwiebeln und Korn. Viel Korn.
    »Laß uns irgendwohin gehen, wo wir reden können«, sagte ich.
    Im Ring trampelte gerade ein Catcher mit einer Maske auf seinem Gegner herum, und die Leute feuerten ihn an. Mach ihn alle, das Tier.
    »Immer noch der alte Harder«, sagte Kleppinger, ohne die Pfeife aus dem Mund zu nehmen. »Einmal kurz ins Leben, und fertig ist die Serie.«
    »Der erste Kampf ist doch nur zum Aufwärmen. Und diesmal geht es nicht um eine Pipifax-Serie.«
    Schließlich steckte Kleppinger das Programmheft ein, das er schon mit seinen Hieroglyphen bedeckt hatte, und wir drängelten uns aus dem Zelt. Als wir uns noch einmal umblickten, schoß der Kahlkopf, den sie Le Grand Vladimir nannten, mit ausgestreckten Beinen durch den Ring und erwischte den Maskierten an den Schulterblättern. Sie krachten zusammen auf die Matte. Die Seile wippten. Der Referee tanzte um sie herum. Die Meute tobte. Le Grand Vladimir stand auf dem Rücken der Maske und trommelte mit beiden Fäusten auf seine Brust wie ein alter Orang-Utan, der dem Clan bewiesen hat, daß er immer noch alle Tricks beherrscht.
    »Vladimir und die Maske – irgendwie erinnert mich das an die Kommunalpolitik«, sagte Kleppinger und sah dabei fast glücklich aus.
    Was heißt hier Kommunalpolitik, dachte ich. Draußen stiegen vom Bratwurststand verlockende Düfte in die kühle Nachduft. Vom Maschsee wehte ein sachtes Windchen über den Platz. Wir holten uns einen Pappbecher Bier, und ich gab Kleppinger eine Bratwurst aus. Ich hatte schließlich von Nora noch Spesenvorschuß gezogen, 3000 bar auf die Hand. Gelegentlich nickte jemand Kleppinger zu. Catch-Fans sind eine Gemeinde. Lokalreporter haben eine.
    Ein Amischlitten hielt vor dem Kassenhäuschen, ein Mann mit wadenlangem Pelzmantel und blonder Dauerwelle und eine dunkelgelockte reife Schönheit in einem knapp sitzenden Tigerdress stiegen aus. Sie hatten Ehrenkarten, und der Einlasser machte einen Bückling, bevor sie sich durch das Spalier von Gaffern ins Zelt bewegten.
    »Rührend«, sagte Kleppinger mit einem Mund voll Bratwurst. »Und vorbildlich. Da verlassen sie in einer Novembernacht das Penthouse mit den Perserteppichen über der Fußbodenheizung, der Massagebank, dem dreißig Jahre alten Whisky, der Sauna und der Videothek mit fünfhundert Titeln vom Hardcore-Porno bis zur Heimatschnulze und begeben sich in ein schlecht beheiztes und miefiges Bierzelt, umgeben von minderwertigen Menschen, die aus dem Mund riechen und am Fließband arbeiten oder bei der Konkurrenz, wenn sie überhaupt arbeiten, und warum? Kannst du mir das sagen?«
    Ich tat ihm den Gefallen und schüttelte den Kopf.
    »Aus Loyalität.«
    Ich nickte und nahm einen Schluck Bier. Das hannoversche Bier war noch nie mein Fall gewesen, im Gegensatz zu den hannoverschen Frauen.
    »Loyalität, Harder, ein Schlüsselwort.«
    Kleppinger knüllte seinen Pappteller zusammen, warf ihn in die Abfalltonne und tupfte sich mit einem seiner karierten Taschentücher den Mund ab. Ihm konnte keiner Loyalität absprechen – seit zwanzig Jahren dieselbe Frau, dieselbe Zeitung, dieselben Taschentücher. Den blauen Trenchcoat kannte ich auch schon lange, und die kleinen Abschweifungen, mit denen er die Häppchen garnierte, die er als Informationen ausgab, waren keineswegs eine Alterserscheinung.
    »Nach deinem Anruf«, sagte Kleppinger, »habe ich mich mal umgehört. Bei der Kripo liegt nichts vor in Sachen Miriam Schäfer-Scheunemann. Nie aktenkundig geworden, keine Vermißtenanzeige, gemeldet nach wie vor in Volksen. Nun sag mir mal, was das alles soll. Schon wieder eine Serie über Trebegängerinnen aus dem bürgerlichen Milieu, das dir immer solche Rätsel aufgegeben hat?«
    Er versuchte die Pfeife in Brand zu setzen, aber der Wind war stärker geworden, und nach drei Streichhölzern lieh ich ihm mein Feuerzeug. Als er die Gasflamme an den Pfeifenkopf hielt, sah ich, daß mehr als vier

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