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Das Schlangenmaul

Titel: Das Schlangenmaul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Fauser
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ob Miriam irgendwo einen Freund hatte oder eine Freundin oder eine Gruppe von Freunden, die vielleicht alle heimlich davon geträumt haben, die Mücke zu machen? Das große Abenteuer zu suchen?«
    Sie nahm noch einen Schluck Campari – es war ihr dritter – und schüttelte dann den Kopf. »Die paar Freunde, die sie hier hatte, die von der Schule, von denen hat keiner eine Ahnung, Harder. Von Miriam nicht, von gar nichts. Und in Berlin …«
    »Berlin? Davon war ja noch gar nicht die Rede.«
    »Es war von vielem noch nicht die Rede. Sie hat Verwandte in Berlin, in Kladow, die sie gelegentlich besucht hat. Verwandte Pauls, aber ich habe ihr immer zugeraten zu diesen Besuchen, gerade weil es solche Spießer sind im Grunde. Man muß wissen, was die Spießer denken, wenn man in diesem Land lebt.«
    Ich notierte mir die Adresse in Kladow. Vielleicht hatte ich dieser Frau unrecht getan, die so weit abgewandt tat, ein zarter Traum in Blond und Pastell mit goldenem Ballettschuh. Hinter der Geschichte steckt mehr, dachte ich.
    »Das ist doch mal ein Anhaltspunkt«, sagte ich. »In Berlin kann man leicht unter die Räder kommen.«
    »Ich habe Ihnen doch gesagt, wo Sie anfangen müssen zu suchen. Bei Paul.«
    »Mach ich auch«, sagte ich. »Vorausgesetzt wir werden uns einig.«
    »Ich dachte, wir wären uns schon einig.«
    Unsere Blicke kreuzten sich, und mein Mund wurde wieder trocken. Ich nahm einen Schluck Wodka. Er schmeckte jetzt lange nicht mehr so gut, wie diese Sorte Wodka sonst schmeckt.
    »Wir werden uns bestimmt einig«, sagte ich. »Wann war Miriam zuletzt in Kladow?«
    »Über Ostern. Dann kam sie zurück, alles war wie immer, und ein paar Tage später war sie verschwunden.«
    »Hat sie Sachen mitgenommen?«
    »Bei ihren Kleidern wüßte ich das nicht. Von ihren Lieblingsbüchern fehlt keins. Von dem Konto, das ich ihr eingerichtet hatte, ist seither nichts abgebucht worden.«
    »Was für eine Einstellung hat Miriam zum Geld?«
    »Wie meinen Sie das, Harder?«
    »Ihnen wird doch auch schon der Gedanke gekommen sein, daß jemand vom Verschwinden Ihrer Tochter profitieren könnte. Unter Umständen auch sie selbst.«
    »Ein häßlicher Gedanke.«
    »Solche Dinge sind immer häßlich.«
    »Und wozu dann ein halbes Jahr warten?«
    »Auch wahr. Ihre Tochter ist spurlos verschwunden, und nach einem halben Jahr sehen Sie zufällig eine etwas merkwürdige Anzeige in einer Zeitschrift und entschließen sich ganz spontan, die Hilfe, von der in der Anzeige die Rede ist, in Anspruch zu nehmen. Sie müssen wirklich verzweifelt sein, Nora. Und was waren Sie in den sechs Monaten seit Ostern?«
    Sie hatte sich aufgerichtet und führ dem Hund mit den Fingern durch seine Wolle. »Nun, ich gebe zu, ich habe zuerst gedacht, Miriam sei … über alle Berge. Wir hatten in letzter Zeit kein solch enges Verhältnis mehr. Emotionell immer noch, aber im täglichen Leben – nun ja, sie ist eben kein Kind mehr.« Sie sah mich an. Von ihren Augen war nichts abzulesen. »Ich dachte, sie wird sich schon melden. Ein Freund, eine Reise, ein Abenteuer – natürlich gibt es das. Aber nach drei Monaten habe ich nicht mehr daran geglaubt, und jetzt glaube ich erst recht nicht mehr daran. Ich spüre es, daß jemand seine Hand im Spiel dabei hat. Paul. Paul wollte sie mir immer wegnehmen. Als sie noch klein war, war er nicht an ihr interessiert, aber jetzt, wo sie so geworden ist, wie ich es mir wünschte, jetzt hat er sie mir weggenommen.«
    »Und was, stellen Sie sich vor, hat er mit ihr gemacht? In ein Kloster gesteckt?«
    »Es gibt viele Möglichkeiten, jemanden festzuhalten.«
    »Ein waches, intelligentes Mädchen, das ihn nicht leiden kann?«
    »Wenn Sie wüßten, wozu Menschen wie Paul fähig sind, würden Sie nicht hier sitzen und Fragen stellen. Sie würden das tun, was Sie in Ihrer Anzeige versprechen. Sie würden handeln.«
    Ich steckte mein Notizbuch ein. »Das werde ich auch, Nora. Was ich an Anhaltspunkten habe, paßt zwar unter einen Stecknadelkopf, aber ich werde versuchen, Ihre Tochter zu finden.«
    »Ich gebe Ihnen viel Geld, wenn Sie sie mir wiederbringen.«
    »Daß ich Sie Ihnen wiederbringe, kann ich nicht versprechen. Das hängt davon ab, ob Miriam es will.«
    »Ich gebe Ihnen zwanzigtausend Mark, Harder.«
    Das waren fünf Artikel in der guten alten Zeit. Und noch nicht die Hälfte dessen, was Wiglaff und der Staat von mir wollten. Aber wer im Dreck steckte, konnte keinen Kaviar erwarten. Und wenn die Tochter nur halb so schön

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