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Das Schlangenmaul

Titel: Das Schlangenmaul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Fauser
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Jahre sein Gesicht zerfurcht hatten. Kleppinger war nur fünf Jahre älter als ich, aber er sah aus, als hätte er die Hoffnung schon aufgegeben, seine Rente noch zu erleben.
    »Aus dem Serienjob bin ich längst raus«, gab ich zu. »Seit der Sache in Bonn damals. Ich recherchiere jetzt für einen Film, Otto. In der Branche ist es den Leuten egal, wie du an deine Stoffe kommst.«
    »Bezahlen die denn?«
    »Man muß halt auch investieren. Auf jeden Fall gibt die Story etwas her. Tochter eines umstrittenen Politikers verschwindet …«
    »Wer soll denn der umstrittene Politiker sein?«
    »Paul Scheunemann.«
    Kleppinger nahm die Pfeife aus dem Mund, spuckte in hohem Bogen aus und sagte: »Scheiße, Harder. Der Mann ist doch nicht mehr umstritten. Der ist längst erledigt. Wenn seine Tochter verschwunden ist, dann kannst du ihr nur dazu gratulieren.«
    »Erzähl mir etwas über ihn, Otto. Wenn an der Geschichte doch etwas dran ist, bist du der erste, der sie hat.«
    Wir hatten uns vom Gedränge um den Bratwurststand abgesetzt und standen jetzt am Rand des Schützenplatzes, da, wo die Scheinwerfer vom Zelt nicht mehr hinreichten. Kleppinger steckte beide Hände in die Manteltaschen.
    »Wenn an der Geschichte etwas dran ist«, sagte er um seinen Pfeifenstiel herum, »dann kannst du dich darauf verlassen, daß alles unter den Teppich gekehrt wird. Und zwar so gründlich, daß du nicht mal mit der Lupe noch etwas von dem Dreck siehst.«
    »Mir geht es gar nicht um Dreck, Otto. Menschliche Tragik, Schicksalsmelodie, das wollen die Leute im Kino haben.«
    »Schicksalsmelodie? Einmal Schnulze, immer Schnulze, Harder.« Er beförderte einen frischen Schleimbrocken auf den Parkplatz. »Paul Scheunemann ist einer von denen gewesen, die immer hinter den Kulissen wirken. Fürs Rampenlicht haben sie die Sprücheklopfer, aber für die Dreckarbeit brauchen sie den Typ Scheunemann, der mit seinem Aktenkoffer immer zur richtigen Zeit am richtigen Ort ist. Mit einem von diesen Aktenkoffern, die anderen Aktenkoffern zum Verwechseln ähnlich sehen. Das Problem mit diesen Leuten ist nur, irgendwann wird der Druck so stark, daß ihnen der Topfdeckel wegfliegt. Und dann quillt die Brühe über den Herd und macht die Küche unbenutzbar. Da haben wir sie dann wieder, Harder – die gute alte Tante Loyalität.«
    Ich steckte mir eine Zigarette an. Allmählich wurde es kalt auf dem riesigen Platz. Im Schützenzelt gellten Pfiffe. Sauberer Sport war auch nicht gefragt.
    »Mit anderen Worten«, sagte ich, »Scheunemann ist der Deckel weggeflogen, und nun haben sie sich einen anderen Koch besorgt.«
    »Für die Art von Arbeit, die seine Spezialität war, ist er erledigt. Es heißt, er säuft zu viel, und in einer Stadt wie dieser heißt das nun wirklich etwas, Harder.«
    »Wie kann ich ihn auftreiben?«
    »Er steht bestimmt im Telefonbuch.«
    »Seine Nummer hab ich, aber da meldet sich nur der Anrufbeantworter.«
    »Laß uns mal zurückgehen. Ich könnte einen Schnaps gebrauchen. Und deine zehn Minuten sind schon lange um.«
    Wir marschierten zum Zelt zurück. Ich war keinen Schritt weitergekommen.
    »Otto«, sagte ich, »die Tochter von Scheunemann ist verschwunden. Daß da ein Zusammenhang mit seiner politischen Tätigkeit bestehen kann, sieht doch ein Blinder mit Krückstock.«
    Kleppinger blieb stehen und klopfte am Absatz seine Pfeife aus. »Für einen Film klingt deine Theorie bestimmt nicht unwahrscheinlicher als alles, was du früher als Serie gemacht hast. Ich würde mich an deiner Stelle mal auf St. Pauli umsehen. Das würde doch zu einer Schmonzette passen. Und zu ihrer Mutter auch.«
    »Wie meinst du das?«
    »Ich hab mich mal im Archiv umgesehen«, sagte Kleppinger und steckte seine Pfeife weg. »Journalisten machen so etwas, weißt du.«
    Seine Hand kam wieder zum Vorschein, diesmal mit einem Bündel fotokopierter Zeitungsausschnitte, die eine dicke Büroklammer zusammenhielt.
    »Und hin und wieder werden sie dann auch fündig. Es gab vielleicht auch ein paar seriöse gesellschaftliche Großereignisse, denen die geschiedene Frau Scheunemann ihren Glanz verliehen hat, aber meistens haben die Klatschkolumnisten sie in den letzten Jahren dort gesichtet, wo sich die halbseidene Hälfte der hannoverschen Society die Ehre gegeben hat.«
    Ich hatte ja geahnt, daß der alte Hase Kleppinger seine Karten nie vorzeitig ausspielte. Aber beim Durchblättern der Gesellschaftskolumnen beschlich mich das Gefühl, daß Otto mich durchaus auch auf eine

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